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Der Doge, sein Henker und Ich

Der Doge, sein Henker und Ich

Titel: Der Doge, sein Henker und Ich
Autoren: Jason Dark
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Auch wenn eine Stadt noch so gelobt und begeistert beschrieben wird, es gibt immer wieder einen Ort, über den sich sämtliche Reiseführer ausschweigen.
    Das Leichenhaus! Auch Schauhaus genannt, von manchen Scherzbolden als Leichenstube bezeichnet oder als Raum, wo niemand widerspricht.
    Daran dachte auch Pietro Lombardi, seit 18 Jahren Schauhaus-Wächter aus Überzeugung. Möglicherweise gehörte er zu den Menschen, die nach der Pensionierung freiwillig weitermachten, nur wegen der herrlichen Ruhe, denn zu Hause saß seine Frau, und die redete den ganzen Tag über.
    Er hatte Luisa stets als Schrecken der Nachbarschaft bezeichnet. Die brachte es fertig, einen Menschen vom Stuhl zu reden und sich anschließend darauf zu setzen. Sie hatte mit vielen Leuten Krach, und es war sogar schon zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit einer Nachbarin gekommen, während die beiden Männer zusammen in einer Bar gesessen und Grappa getrunken hatten.
    Ja, der Grappa. An diesen Schnaps hatte sich der gute Pietro auch so gewöhnt. Die kleine Flasche mußte immer dabei sein, wenn er den Dienst antrat. Daß er hin und wieder einen Schluck nahm, daran störte sich niemand. Lombardi hatte so etwas wie Narrenfreiheit. Außerdem konnte er an manchen Tagen den Geruch nicht vertragen. Nicht den der Leichen, sondern diesen klinischen Desinfektionsgeruch. Der schlug ihm dann auf den Magen, so daß nur Grappa half.
    Wie vieles in Venedig war auch das Schauhaus in einem alten, fast ehrwürdigen Gebäude untergebracht. Manchmal blieben Touristen stehen, besichtigten es aber nicht, wenn ihnen der Führer erklärte, was die Mauern beherbergten.
    Pietro hatte Schichtdienst. An diesem Tag begann sein Dienst am Abend. Er würde die Nacht über andauern. Am anderen Tag konnte er dann ausschlafen.
    Als er eintraf, war der Kollege schon fertig umgezogen. Er war um einige Jahre jünger als Lombardi, der elegante dunkelblaue Anzug stand ihm gut.
    »Willst du weg?«
    »Ja, Pietro. Ich bin eingeladen.«
    »Toll. Von wem?«
    Der Mann lächelte. »Von einer Frau. Die ist super, sage ich dir. Sie kommt aus dem Norden.«
    »Deutschland?«
    »Nein, Wien.«
    »Aha —und?«
    »Ich soll ihr Venedig zeigen.«
    Pietro grinste. »Weiß sie von deinem Beruf? Hast du ihr erzählt, daß du die Toten wäschst?«
    Der Kollege schaute Lombardi an. »Bin ich verrückt? Ich habe ihr gesagt, daß ich studiere und ab und zu eine Gondel fahre.«
    »Hast du das schon einmal getan?«
    »Noch nie.«
    »Dann wird sie sich wundern.«
    »Von wegen. Soweit kommen wir gar nicht.« Der Mann streifte seinen Mantel über. »Ich wünsche dir eine gute Nacht.«
    »Und treib es nicht zu toll.«
    »Die Frau ist ausgehungert, das habe ich sofort gemerkt.« Er nickte Pietro noch einmal zu und ging. Lächelnd und leicht seufzend schaute Lombardi ihm nach. Jung müßte man sein, dachte er. So aber blieb einem nur der Grappa und das Schwätzchen mit Freunden.
    Im Laufe der Jahre hatte das schwarze Haar des Mannes einen Grauschleier bekommen. Trotzdem wuchs es noch voll und sah aus wie toupiert. Auch die Haut war nicht mehr so straff wie früher, und die Energie der Jugend hatte ebenfalls nachgelassen. Nur gut, daß ihn der Dienst nicht übermäßig strapazierte.
    Pietro Lombardi betrat seine kleine Bude, die in Sichtweite des Eingangs lag. Sie war in eine Nische hineingebaut worden. Von dieser Stelle aus besaß er einen Blick in den breiten Flur, dessen Fliesen aus hellen Marmorrechtecken bestanden. Neben der nach unten führenden Treppe befand sich der breite Fahrstuhl, da konnten mehrere Leichen nebeneinander hineingeschoben werden.
    Pietro Lombardi dachte an die drei Toten, die man in den Kanälen gefunden hatte. Innerhalb einer Woche war dies geschehen, und die Polizei hatte noch keine Spur.
    In Venedig ging die Angst um. Ein geheimnisvoller Mörder war aufgetaucht. Einige Presseleute hatten bereits von einem Phantom gesprochen, die Polizei hielt sich bedeckt, und auch Lombardi bekam nicht mehr viel mit, denn die Beamten sprachen mit ihm kaum über den Fall, wenn sie kamen.
    Man würde sehen. Wie bei jedem Dienstantritt machte Pietro seine Runde. Er war jetzt der einzige Lebende in diesem Bau, der auch noch im heißesten Sommer eine gewisse Kühle ausstrahlte. Pietro zog sein Arbeitszeug über. Es war ein blauer Kittel, der ihm bis zu den Kniekehlen reichte. Luisa hatte ihn frisch gewaschen und ordentlich zusammengelegt.
    Wenn Pietro ihn überstreifte, schloß er ihn niemals. Er mochte
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