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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Gegenstands heraus. »Sie schrumpfen im Nu auf die Größe der Brieftasche eines armen Mannes! Sie lassen sich mit ein paar Atemzügen wieder aufblasen!«
    Dann ging er daran, diese Eigenschaft zu demonstrieren, und brachte ein Exemplar des berühmten Mauskopfs zustande, das etwas größer war als ein Fußball.
    »Ist Ihnen klar, was das ist, Sie Schwachkopf?« fragte er.
    Verdutzt musterte Xian Bai das grinsende Ballongesicht. Alles wirkte ganz normal, bis auf die Knubbelnase an der Spitze der langen weißen Schnauze des Nagetiers; dort saß nicht die traditionelle schwarze Kugel, sondern ein kleines silbernes Paket, das irgendwelche elektronischen Schaltungen zu enthalten schien …
    »Das hier«, sagte der stellvertretende Minister und stupste Xian Bais Nase mit der von Micky an, »ist eine Satellitenantenne!«
     
    Selbst wenn der Geist des Großen Vorsitzenden Mao von irgendwoher mit finsterer Miene unglücklich auf dieses Schauspiel herabblickte, so würde der von Deng Xiao Ping es sicherlich billigen, sagte sich Xian Bai, und der Panda Mao lächelte jedenfalls von hoch oben über dem mit einem Türmchen geschmückten Eingang gutmütig auf sein Unternehmen herab, als er das Band durchschnitt und seine fünfte Panda-Pagode eröffnete.
    Schließlich hatte Lenin selbst darauf hingewiesen, daß man keine Revolution machen konnte, ohne Eier zu zerbrechen, obwohl die Standardrezepte im Kleinen roten Buch des Pandas Mao bewundernswert sparsam mit dieser relativ teueren Zutat umgingen, was das betraf.
    Teilweise zur Strafe, teilweise aber auch, weil es keinen Erfahreneren gab, den man hätte entsenden können, war Xian Bai wieder nach Anaheim geschickt worden, um sich mit den Lakaien der Maus auseinanderzusetzen. Diesmal jedoch war es ein billiger Charterflug und ein trostloses Motel in Santa Ana gewesen, und als er schließlich die bürokratischen Schichten bis zur Direktorenebene durchdrungen hatte, saß er einem hartäugigen Burschen mit Krawatte und Drahtbrille in der Rechtsabteilung gegenüber, einem ›Anzug‹, wie ihn die Leute dort nannten.
    »Es sind keine internationalen Gesetze, Verträge oder Konventionen verletzt worden«, wurde Xian Bai in bestimmtem Ton mitgeteilt. »Die Ballonantennen sind im internationalen Luftraum abgeworfen worden.«
    »Und rein zufällig en masse über China hinweggetrieben?«
    Der Anzug zuckte die Achseln. »Höhere Gewalt«, sagte er. »Sie könnten vielleicht versuchen, den Papst zu verklagen – ich könnte Ihnen die Visitenkarte meines Schwagers geben –, aber bei uns kommen Sie damit nicht weiter.«
    »Obwohl der einzige Kanal, den die Ballonantennen empfangen, der Disney-Kanal ist? Der zufällig gerade auf Mandarin und Kantonesisch zu senden begonnen hat?«
    »Der Satellit befindet sich im geosynchronen Orbit, und das ist internationales Territorium. Wir haben das gesetzlich verankerte Recht zu senden, was wir wollen, und zwar in jeder Sprache, die uns beliebt.«
    »Aber chinesische Bürger dürfen keine Satellitenschüsseln besitzen. Chinesische Bürger dürfen keine ausländische Sendungen sehen!«
    Der Anzug ließ ein Krokodillächeln aus Porzellan sehen, das ein perfektes Beispiel für die Kunst der Zahnärzte von Beverly Hills war. »Das ist euer Problem«, sagte er. »Unser Problem ist, daß ihr uns nicht erlauben wollt, den Langen Marsch in China herauszubringen und die Profite aus den Zusatzverwertungen und Panda-Pagoden einzustreichen.«
    Das Grinsen verschwand, aber das Krokodil blieb.
    »Und wenn unser Problem nicht bis zum internationalen Anlauftermin des Films ausgeräumt ist«, sagte der Anzug, »dann wird euer Problem noch erheblich schlimmer.«
    »Schlimmer …?« stammelte Xian Bai.
    Wie konnte es noch schlimmer werden? Es gab keine Möglichkeit, die Millionen Ballonantennen zu konfiszieren – wenn die Polizei kam, ließen die Leute einfach die Luft heraus, versteckten sie und setzten sie erst in dem Moment wieder aus, wenn es sicher war. Abermillionen Chinesen sahen Sendungen aus den Disneyworlds, Zeichentrickfilme und abendfüllende Animationsfilme, endlose Trailer für den Langen Marsch, endlose Werbespots für die im Zusammenhang damit vermarkteten Produkte und für die Panda-Pagoden. Der Wunsch der Massen, China solle sich den Lakaien der Maus öffnen, nahm epidemische Ausmaße an.
    Den letzten Meinungsumfragen zufolge glaubten bereits einundvierzig Millionen Chinesen, Mao Tse Tung sei mit schwarz-weißem Fell zur Welt gekommen.
    »Viel schlimmer«,
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