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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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versagen, würde sie einfach die Achseln zucken, lächeln und meinen, es sei einen Versuch wert gewesen.
    5 1 13 15 14. EAMON, codiert.
    Das Türschloß gab einen klickenden, seufzenden Laut von sich. Geschafft!
    Abermals nickte Billie dem Wachmann zu; das war das einzig richtige, denn dann stand sie frontal vor ihm, und er konnte weder ihren schmutzigen Rücken noch das Blut am Hinterkopf sehen.
    Der Wachmann lächelte und gab ihr einen Wink, sie solle hineingehen.
    Im Seitwärtsgang schob sich Billie durch die Tür, dem Mann immer noch ihr Gesicht zuwendend. Erst als sich die Tür wieder schloß, drehte sie sich um.
     
    Sie wußte nicht, warum sie so überrascht war, aber das hatte sie gewiß nicht erwartet: Schwärze, Finsternis. Hinter der Bühne standen Trailer, gleichfalls im Schatten, und zu ihren Füßen schlängelten sich dicke Kabel. Vor Angst war sie zu befangen, um genau zu erkenne, was hier falsch war, was sie vermißte.
    Auf der Stufe eines Trailers kauerte ein Mann über einem Handy. Sie hörte ein Gequake wie von Donald Duck, nahm einen Ponyschwanz wahr; dann sauste sie los, wobei die fußangelartigen Kabel ihre Schritte dämpften. Jetzt ist es zu spät, um sich über 20.000 Volt Gedanken zu machen, Billie! Sie wollte sich in den Schutz eines der gigantischen Verstärker flüchten, die auf den mit Stoff drapierten Gerüsten standen. Dunkelheit, Gewandtheit und Lautlosigkeit waren Billies einzige Komplizen. Sie bibberte, als sie den Verstärker erreichte und sich zwischen den Stoffbahnen versteckte.
    Endlich konnte sie wieder durchatmen; über ihr wummerte die Musik. Eamon fing an zu singen, und sobald das Publikum den Song erkannte, gab es begeisterten Applaus.
     
    Lauter schmettert die Musik,
    Schneller rasselt jetzt der Beat,
    Der Mann am Mischpult führt Regie,
    Beherrscht dich, treibt dich an wie Vieh.
    Weil du es zuläßt, wird er zum Sadisten,
    Quält Menschen wie dich, die Masochisten.
     
    Johlten die Leute Zustimmung? Das ist genau das, was er uns allen antut – er manipuliert uns, weil wir es nicht anders wollen. Sie sagen uns die Wahrheit, aber nur einen Teil, gerade genug, um in uns den Eindruck zu erwecken, sie würden uns für voll nehmen. Erst öffnen sie die Tür einen Spaltbreit, um sie dann zuzuknallen und unsere Finger einzuklemmen.
    Sie spähte an den Falten des Stoffs vorbei, und es kam ihr vor, als gefriere ihr zittriger Atem in der Kälte zu weißem Dampf. Vor ihr erstreckte sich ein weitausholender, staubiger, zubetonierter Platz, dessen Leere nur von einem Bonbonpapier gestört wurde.
    Wo waren die Menschen? Wo waren die Tische mit der Verpflegung, die Klappstühle, die Familienangehörigen, die Freunde, die Vertreter der Musikverlage, die Herumlungerer, die an solch einem Ort eigentlich nichts zu suchen hatten? Wo war der Mann mit dem Handy?
    Von den Bildschirmen oder aus irgendeiner anderen Quelle strahlte ein sonderbares blauweißes Licht. Flackernd und flimmernd züngelte es über sämtliche Objekte, kroch wie Bodennebel über den Beton.
    Billie nahm die monströse Bühne in Augenschein; sie sah weder Treppenstufen, noch Leitern, noch einen Lift. Kein Weg führte nach oben, auch von der Rückseite nicht. Wie war Eamon dort hinaufgelangt? War er geflogen? Zwischen ihr und der Bühne ragten die riesenhaften Bildschirme in die Höhe, gestützt von Gerüsten; Gerüsten, ihren neuen Verbündeten.
    Wieder rannte sie los. Hinter einem Monitor wallte ein Vorhang aus dicken Kabeln herunter; sie mußten isoliert sein, also nichts wie hindurch! Hinter einem Wasserfall aus Gummi ging Billie in Deckung und zog den Kopf ein.
    Über ihr spannte sich das Gerüst, neben ihr drohte die graue Wand der Bühne. Billie fing an zu klettern. Du dachtest, an dich käme niemand heran, Mr. Strafe. Du wähntest dich unerreichbar. Aber ich krieg dich schon. Und ich zeige dir, Eamon Strafe, daß du nicht mein Herr und Meister bist.
    Auf halbem Weg nach oben erreichte sie eine blecherne Megaphonstimme. »Junge Frau, kommen Sie bitte herunter!«
    »Geh zum Teufel!« brüllte sie.
    Es entpuppte sich als schwieriger, ein Gerüst hinauf- als hinabzuklettern. Sie mußte sich platt auf die Schrägbalken legen, nach oben robben und sich dann umdrehen. Drunten, in dem eigentümlichen, zähflüssigen Licht, schleppte man Leitern herbei.
    Sie erreichte ein paar Bretter, die eine Plattform bildeten, von der aus eine Sprossenleiter zu der Maschinerie hinter den Bildschirmen führte. Sie krabbelte die Leiter hoch
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