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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Direktiven entsprechend mit.
    »Kein Problem, Mann, wenn Sie wollen, daß wir die Premiere in China machen, läßt sich das deichseln.«
    »Sie glauben doch nicht ernsthaft, daß Sie diesen Film jemals in die chinesischen Kinos bringen können!«
    »Besser, man ist im Zelt und pißt raus, als man ist draußen und pißt rein, um es mit den unsterblichen Worten von Lyndon B. Johnson zu sagen.«
    »Und was bedeutet das?«
    »Es bedeutet, daß wir den chinesischen Markt so oder so knacken werden, ihn aber nicht brauchen, um die Zahlen zu vergolden. Der lange Marsch hat keine fünfzig Millionen gekostet, mit Kopien- und Werbekosten sind es immer noch unter hundert, und über die Vermarktungsrechte haben wir jetzt bereits das Doppelte wieder reingeholt! Wir machen mit dem Film also schon ein sattes Plus, bevor wir ihn überhaupt rausbringen. Unserer Schätzung nach wird allein schon der ausgestopfte Panda Mao diese Weihnachten genug einbringen, um die gesamten Produktionskosten zu decken!«
    »Sie … Sie wollen den Großen Vorsitzenden Mao als ausgestopften Panda auf den Markt bringen?« Xian Bai hielt sich für einen unpolitischen chinesischen Pragmatiker, aber das war selbst für ihn zu viel.
    »Die Kids, mit denen wir die Markttests durchgeführt haben, waren hin und weg. Mao Tse Tung wird als Pandapuppe zehnmal populärer sein als jemals in Fleisch und Blut.« Der Disney-Direktor beugte sich näher zu ihm. »Können Sie ein Geheimnis für sich behalten, wenn ich Ihnen was wirklich Heißes verrate?« fragte er verschwörerisch.
    »Das kann ich nicht garantieren …«
    Der Disney-Direktor zuckte die Achseln. »Ach, was soll’s, es steht sowieso fest. Wir haben beschlossen, unsere Figuren nicht mehr als Aushängeschilder für die Fast-Food-Ketten anderer Leute herzugeben, sondern selber ins Geschäft einzusteigen. Micky und Donald und die alte Bande sind durch langfristige Verträge gebunden, aber der Panda Mao …«
    »Das kann nicht Ihr Ernst sein!«
    »Ich weiß, was Sie denken: schwachsinnige Idee, der Markt ist eh schon übersättigt mit Hamburger-, Pizza-, Taco- und Brathähnchen-Ketten. Aber … es gibt keine China-Kette! Panda-Pagoden in jedem Einkaufszentrum der Welt! Mit dem Panda Mao als Galionsfigur! Wir hängen den armen Ronald McDonald an seinen goldenen Bögen auf!«
    Selbst die redigierte und explizierte Version dieses Gesprächs war für den stellvertretenden Minister für kulturelle Beziehungen mit Übersee schwer zu begreifen.
    »Wie können sie erwarten, daß sie mit diesem Affront gegen das Reich der Mitte davonkommen?« wollte er wissen. »Wie kann die amerikanische Regierung das zulassen? Haben Sie klargestellt, daß wir auch gegen andere amerikanische Unternehmen Vergeltungsmaßnahmen ergreifen könnten?«
    Xian Bai nickte elend.
    »Und?« fragte der stellvertretende Minister.
    Xian Bai holte tief Luft und richtete den Blick auf die Tischplatte. »Sie … sie haben uns selber ein Ultimatum gestellt.«
    »Ein Ultimatum?« flüsterte der stellvertretende Minister fassungslos.
    »Die Volksrepublik China muß erlauben, daß Der lange Marsch gleichzeitig in mindestens tausend Kinos im ganzen Land anläuft, wobei Disney sechzig Prozent der Bruttoeinnahmen bekommt, sie muß den erforderlichen Grund und Boden für mindestens tausend Panda-Pagoden sowie Disneyworlds in Shanghai, Peking und Hongkong abtreten und für einen Zeitraum von fünfzig Jahren eine hundertprozentige Steuerbefreiung auf diese Einrichtungen gewähren, sonst …«
    »Sonst?«
    »Sonst, so hat man mir gesagt, wird die Maus brüllen, Onkel Dagobert in seinen Geldspeicher tauchen, Dumbo fliegen und der große böse Wolf vor Wut schnauben und unser Haus wegpusten!«
     
    Zuerst sah es so aus, als würden sich gewaltige schwarze Gewitterfronten aus verschiedenen Richtungen China nähern, dann verwandelte sich die bange Erwartung in erstauntes Entzücken, als aus den schwarzen Wolken Myriaden von Drachen wurden.
    Schwarze Drachen. Allesamt identisch.
    Alle in Form des fröhlich grinsenden Gesichts der weltberühmten Maus.
    Nein, keine Drachen …
    »Ballons!« rief der stellvertretende Minister für kulturelle Beziehungen mit Übersee. »Abermillionen Ballons, die überall in China sachte vom Himmel herabschweben!«
    »Amüsant«, sagte Xian Bai, »aber ich verstehe nicht …«
    »Amüsant!« kreischte der stellvertretende Minister, steckte die Hand in die Tasche und holte ein zusammengeschrumpeltes Exemplar des offenbar anstößigen
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