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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten
Autoren: Katherine Pancol
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I ch möchte ein Paket abholen«, sagte Joséphine Cortès, als sie an den Postschalter in der Rue de Longchamp im sechzehnten Pariser Arrondissement trat.
    »Frankreich oder Ausland?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Auf welchen Namen?«
    »Joséphine Cortès … C . O . R . T . È . S .«
    »Haben Sie den Benachrichtigungsschein?«
    Joséphine Cortès reichte den gelben Zettel über den Tresen.
    »Ausweis?«, fragte die erschöpft wirkende Angestellte, eine vor sich hin blinzelnde falsche Blondine mit stumpfem Teint.
    Joséphine holte ihren Personalausweis aus der Tasche und legte ihn vor die Frau, die währenddessen mit einer Kollegin ein Gespräch über eine neue Rotkohl-Rettich-Diät begonnen hatte. Die Angestellte nahm den Ausweis, hob erst eine, dann die zweite Pobacke an, rutschte von ihrem Hocker und rieb sich das Kreuz.
    Dann watschelte sie in einen Flur hinaus und verschwand. Der schwarze Minutenzeiger auf dem weißen Zifferblatt der Wanduhr rückte immer weiter vor. Joséphine bedachte die wachsende Schlange hinter ihr mit einem verlegenen Lächeln.
    Es ist doch nicht meine Schuld, wenn mein Päckchen irgendwo hingeräumt wurde, wo es jetzt niemand mehr findet, schien sie sich zu entschuldigen. Nicht meine Schuld, wenn es erst nach Courbevoie geschickt wurde. Wo kommt es überhaupt her? Vielleicht aus England, von Shirley? Aber sie kennt doch meine neue Adresse? Es sähe Shirley ähnlich, mir diesen köstlichen Tee zu schicken, den sie bei Fortnum & Mason kauft, einen pudding und gefütterte Socken, damit ich beim Arbeiten keine kalten Füße habe. Shirley sagt immer, es gebe keine Liebe, sondern nur liebevolle Aufmerksamkeiten. Liebe ohne kleine Aufmerksamkeiten, sagt sie, sei wie das Meer ohne Salz, wie Wellhornschnecken ohne Mayonnaise, wie Maiglöckchenohne Glöckchen. Shirley fehlte ihr. Sie war mit ihrem Sohn Gary nach London gezogen.
    Die Angestellte kam mit einem Paket in der Größe eines Schuhkartons zurück.
    »Sammeln Sie Briefmarken?«, fragte sie Joséphine, während sie sich wieder auf den unter ihrem Gewicht ächzenden Hocker hievte.
    »Nein …«
    »Ich schon. Und ich kann Ihnen sagen, die sind wunderschön.«
    Sie schob ihr das Paket über den Tresen zu. Auf dem groben Packpapier entzifferte Joséphine ihren Namen und ihre Adresse in Courbevoie. Die ebenso grobe Paketschnur hatte sich durch den Aufenthalt auf diversen Postregalen an beiden Enden zu schmutzigen Pompons verzwirbelt.
    »Ich habe es nicht mehr gefunden, weil Sie umgezogen sind. Das hat eine lange Reise hinter sich. Aus Kenia. Hat es weit gebracht! Und Sie wohl auch …«
    Ihr Tonfall war sarkastisch. Joséphine errötete und stammelte eine leise Entschuldigung. Sie war nicht umgezogen, weil sie ihr altes Vorstadtviertel sattgehabt hätte, ganz bestimmt nicht. Sie liebte Courbevoie, ihr altes Viertel, ihre Wohnung, den Balkon mit dem verrosteten Geländer. Ihre neue Adresse gefiel ihr überhaupt nicht. Sie fühlte sich fremd, fehl am Platz. Nein, sie war nur umgezogen, weil ihre ältere Tochter Hortense das Leben in einer Vorstadt nicht mehr ertrug. Und wenn sich Hortense einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte man nur noch nachgeben, denn sonst strafte sie einen mit kalter Verachtung. Dank der Tantiemen für ihren Roman Die demütige Königin und eines hohen Kredits hatte Joséphine eine schöne Wohnung in einem guten Viertel kaufen können. Avenue Raphaël in der Nähe der Muette. Nicht weit von der Rue de Passy mit ihren Luxusläden und nur einen Steinwurf vom Bois de Boulogne entfernt. Halb in der Stadt, halb auf dem Land, hatte der Makler hochtrabend verkündet. Hortense war Joséphine um den Hals gefallen. »Danke, liebste, kleine Maman, das ist wie ein neues Leben, jetzt werde ich eine echte Pariserin!«
    »Ich wäre ja lieber in Courbevoie geblieben«, murmelte Joséphine und fühlte, wie ihre Ohrläppchen zu brennen begannen.
    Das ist neu, früher bin ich nicht wegen jeder Kleinigkeit rot geworden. Früher hatte ich ein Zuhause. Auch wenn ich mich dort nicht immer wohlgefühlt habe, es war mein Zuhause.
    »Was ist denn jetzt mit den Briefmarken? Wollen Sie sie behalten?«
    »Ich weiß nicht … Wenn ich sie herausschneide, geht vielleicht die Verpackung kaputt …«
    »Schon gut, kein Problem!«
    »Ich kann Sie Ihnen später vorbeibringen, wenn Sie wollen …«
    »Ich sagte doch, schon gut! Das war nur so dahingesagt, ich fand sie halt schön … Vergessen Sie’s!«
    Sie richtete den Blick auf die nächste
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