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Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum
Autoren: Hermann Kant
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sie zwingt niemanden, sie beliebig und in gleichlaufender Richtung zu verlängern; wenn an ihrem Ausgangspunkt »Laufjunge« und an ihrem derzeitigen Endpunkt »Chefredakteur« steht, so ist das erfreulich, aber noch keinGrund, sie nun weiter hinauf zu »Minister« zu ziehen. Bestenfalls kann sie einer von mehreren Gründen sein, und der kann aufgehoben werden, wenn sich herausstellt, daß Eigenschaften, die auf dem bisherigen Weg immer nur bremsende Hemmnisse waren, auf der nächsten Strecke zu unüberwindbaren Hindernissen würden.
    Irgendwo hat jeder seine Grenze, und ich weiß, daß ich bleiben kann, was ich bin, wenn ich in der Abteilung beweise: Jenseits dieses Punktes, an dem ich mich nunmehr befinde, kann ich nicht mehr halten, was ihr, Genossen, euch von mir versprecht.
    Daß ich bleiben kann, was ich bin – hier steckt ein Problem, mein schwierigstes vielleicht. Denn wenn ich meine Hoffnung in den Nachweis gründe, ich könnte künftig nicht erfüllen, was von mir erwartet wird, so muß ich mich auf die Frage gefaßt machen, ob ich in Wahrheit noch zu dem tauge, womit ich gegenwärtig beauftragt bin.
    Was ich jetzt in die Diskussion einspeise, damit es mich vor Beförderung bewahre, fließt zurück, und unversehens habe ich nicht nur Künftiges verhindert, sondern auch Gegenwärtiges fragwürdig gemacht.
    Aber ich will bleiben, was ich bin; ich liebe – warum sollte ich den Ausdruck scheuen? –, ich liebe meine Arbeit, ich mag meinen Beruf, ich fühle mich wohl hier, ich kenne mich aus, mein Lehrgeld ist eingebracht, meine Fehler sind seltener geworden, hoffe ich, diesen Auftrag kann ich, glaube ich, immer erfüllen, und es macht mir Freude, das zu tun; für einen Mann in meiner Lage schlafe ich ruhig, ich habe Pläne und ich habe Freunde, ich habe auch Feinde, aber mein Gewissen sagt mir, daß es die richtigen sind, ich bin, weiß ich, an meinem Platz, und darum möchte ich ihn behalten. Wenn ich ihn behalten will, muß ich die Abteilung davon überzeugen, daß ich für ihn gut bin, aber nicht für einen anderen, höheren, und daß Untauglichkeit dort nicht die Tauglichkeit hier beeinträchtigt, und ich muß ihr den Argwohn nehmen, ich wollte nun, nach so viel Bewegung, Stillstand, nach soviel Anstrengung Bequemlichkeit, nach langer Jugend nun Altenteil.
    Ich muß ihnen dort sagen: Ja, ihr habt mein Diagramm richtig gelesen, aber nun deutet es auch richtig. Zahlen allein ergeben nicht die Summe, bisherige Geschwindigkeit begründet nicht ewigen Fortschritt, vielmal der rechte David Groth macht noch nicht, daß David Groth immer und überall der rechte bleiben muß.
    Ich, David Groth, bin heute zwanzig Jahre in der Partei; das hört sich gut an und ist auch gut, aber schimmert nicht auf dieser Zahl ein Glanz, der seine Berechtigung eher zu anderen Zeiten hatte? Damals, als ich eintrat, da war das noch etwas, zwanzig Jahre; da reichte das noch zurück bis in die wilde Mitte der ersten Republik; das waren reißende und zehrende Jahre, diese zwanzig, das waren Jahre, in denen man eben nicht ruhig geschlafen hatte, in denen der Kehlkopf draufgegangen war und die Lunge und der Magen und das Herz nur deshalb nicht zersprang, weil eiserne Bänder es zusammenhielten, weil man wußte: Wenn ich zerreiße, zerreißt so vieles mit mir, mit meinem Fall bricht mehr als ich, mein Herz und meine Kraft gehören nicht nur mir allein.
    Wir klatschten Beifall, damals, als ich in die Partei eintrat, wenn es von einem hieß, er sei schon seit zwanzig Jahren dabei, denn wir wußten nun, diese Augen hatten Weimar vom Ettersberg aus gesehen oder Schanghai, als Tschiang noch drin hauste, hatten die Konsulatstreppen von Marseille gesehen und die Stellenbüros von New York und Schweizer Stacheldraht und leere Teller auf Mallorca und den Mohn im Jaramatal und den Rauch von Berlin hinter dem Rauch von Oranienburg und Stalingrad mit Sibirien im Rücken.
    Wir wußten dann, wo die Zähne geblieben waren und die Fingerkuppen und diese und jene deutsche Vokabel, und wir wußten, woher das bleiche Haar gekommen war bei Vierzigjährigen und die Starre zwischen Lid und Kiefer, und wir wußten, die blaue Zahl auf dem Unterarm war nicht die Spur von Seemannsulk, und die Härte in Ton und Argument kamvom überzahlten Rechtbehalten und vom allzuoft entrichteten Preis der Schwäche.
    Wer zwanzig Jahre dabei war, als ich hinzukam, war so lange in der Partei wie ich auf der Welt, also ein Leben lang. Jetzt aber bin ich seit zwanzig Jahren dabei,
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