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Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum
Autoren: Hermann Kant
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sie sein: die Nacht; da fragten wir uns vieles, da nahmen wir uns noch einmal alles vor, da zählten wir die Schwalben auf unseren Fäden und zählten auch die Sterne dazwischen; da zählte ich, da nahm ich mir vor, da fragte ich mich: Für was bist du gekommen, wenn dies geschehen kann, und wenn es nicht geschieht, für was wirst du bleiben?
    Soweit meine Fragen, und nun meine Antwort, eine Antwort, die inzwischen ausführlicher ist, als sie es damals war, denn inzwischen hat es weitere Nächte gegeben, in denen wir in den Himmel horchten; es hat andere Orte gegeben, nach denen wir in unseren Atlanten sahen; Admirale sind gefallen, andere gekommen, die Rechner geblieben, die große Rechnung auch; die Schwalbenketten sind länger geworden, der kleineren und größeren Sterne mehr, und ich sehe ein wenig deutlicher, für was ich gekommen bin und für was ich bleiben muß.
    Das Kommen und Bleiben hat einen Sinn, wenn wir Gebrauch machen von dem, was uns begegnet; so Gebrauch davon machen, daß anderen das Kommen leichter wird und das Bleiben erst recht.
    Wir haben eine Fähigkeit, von der wir manchmal nicht wissen mögen und manchmal nichts wissen mögen; durch sie zuerst sind wir aus dem Diluvium herüber hierhergekommen, und durch sie steht es bei uns, wie lange wir bleiben: Wir können lernen.
    Da haben wir ein Maß, von dem wir lesen können, wie es um uns steht: Was machten wir aus dieser Fähigkeit, wie nutzten wir sie?
    Und ich lasse es mir nicht ausreden, wie oft auch der Schein oder Teile von Wirklichkeit dagegensprechen wollten; mir redet das niemand mehr aus: Wir haben unsere Chancen nicht vertan; wir haben sie längst noch nicht genutzt, aber vertan haben wir sie nicht. Die Vorsicht neben der Überzeugung kommt her von dem Wissen, daß diesesWir ein zusammengesetztes ist. Dieses Wir besteht aus Klugheit und Dummheit, Wachheit und Schläfrigkeit, Fleiß und Faulheit, Gesundheit und Krankheit, Reichtum und Armut, Schärfe und Stumpfe, Jugend und Alter, Kraft und Schwäche, Erfolg und Niederlage, Überfluß und Mangel, besteht aus Kämpfern und Opfern, aus Spähern und Flüchtigen, aus Fechtern und Schlägern, aus Forschern und Gläubigen, aus Helfern und Häftlingen, aus Lotsen und Schmarotzern, besteht aus drei Milliarden Teilen, und jeder von uns ist der dreimilliardste Teil dieses Wir.
    Gerade das hat mir zu schaffen gemacht und hat mir geholfen in den Nächten der so verschiedenen Admiräle: die Vorstellung, mich gibt es dreimilliardenmal.
    Ich habe mich aus dieser unförmigen, nicht mehr hantierbaren Zahl herausgelöst, habe sie mir gemerkt als einen Multiplikator, den ich gleich wieder brauchen würde, und habe versucht herauszufinden: Wer ist das, dieser eine, was ist der, was steckt allein schon in diesem einen?
    Es war ein Versuch, ich bin nicht weit gekommen; ich kam nur auf einen sehr unvollständigen David Groth, ungefähr diesen:
    Einen Vierzigjährigen, geboren in einer Republik, aufgewachsen in Diktatur, lebend nun in einem sozialistischen Lande. Seine Mutter weiß noch, wie der Kaiser ausgesehen hat, so weiß er es auch. Sein Vater war Arbeiter, er war auch Arbeiter, jetzt ist er es nicht mehr, aber er arbeitet. Er hatte Umgang mit Lehrern, Hebammen, Kanzlern, Fischermeistern, Büchsenmachermeistern, Generälen, solchen und solchen, Pastoren, Fotografen, Chauffeuren, Setzern, Ärzten, Rentnern, Schwindlern, Kutschern, Mädchen, Tanten, Müttern, Redakteuren, Funktionären, lieben Menschen, schlechten Menschen, solchen Menschen und solchen Menschen.
    Er ist in Oslo gewesen und in Oelsnitz, in Nanking und auf dem Flugplatz von New York und auf anderen Flugplätzen auch und auch an einigen anderen Orten.
    Über der Wüste Gobi hat er vier reihernde Fregattenkapitänegesehen, und in Bayreuth hat er über ein offenes Grab hinweg einem Pfarrer zugehört und hat gewußt, der war gar kein Pfarrer.
    Er hat einige tausend Bücher gelesen; der größere Teil hat nichts getaugt. Er erinnert sich gut an sein erstes großes Leseerlebnis: Da hat ein Mann auf eine Tafel im Garten »Taxusstecklinge abzugeben!« geschrieben, und er hat begriffen, was der Mann damit sagen wollte. Er hat auch zu ahnen begonnen, wozu Lesen und Schreiben gut sein konnten.
    Er erinnert sich an das Gewicht von zwei Händen, die einen Tag lang eine Feile gehalten haben.
    Marcel Marceau hat ihm einmal vorgeführt, ihm ganz allein, wie es aussähe, wenn Marcel Marceau den Napoleon spielte.
    Er hat vier Unfälle gehabt, davon zwei
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