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Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum
Autoren: Hermann Kant
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    Ich will aber nicht Minister werden! Ich rede nicht erst von können, können scheidet schon ganz aus, aber ich will auch nicht. Vor allem will ich nicht.
    Das macht die Lage schwierig, ich weiß. Wenn ich ihnen sage, ich will nicht, dann fassen sie Mut; damit, glauben sie, werden sie fertig. Wollen ist subjektiv, und Nichtwollen ist defensiv, und es ist eine Herausforderung, wenn einer damit kommt. Wo ein Wille ist, da ist ein Weg, und wo kein Wille ist, da ist auch einer.
    Wenn ich ihnen beweise, daß ich es nicht kann, haben sie es schwerer. Sie werden zwar keinen der Beweise gelten lassen, sie werden sagen, dies alles sei auch ihnen, was meine ich wohl, wie oft schon, passiert, und bereits Lenin habe gesagt, nur wer überhaupt nichts tue, begehe keinen Fehler – außer diesem einen kardinalen, versteht sich –, und sie möchten nun bitte nichts mehr über meine angeblichen oder auch wirklichen Versager hören, weil sie sich sonst ein wenig über mich ärgern müßten, denn was hätte ich wohl für Vorstellungen von ihrer Arbeit, glaubte ich vielleicht, sie zögen ihre Kader aus der Lottotrommel, meinte ich etwa, sie ermittelten die verantwortlichen Leiter per Abzählreim, eene, meene, meck, meck? Eene meene meck meck, sechs Geschwister, eene meene mei ei, einer wird Minister, eene meene Klötergeld, wohin nun der Finger fällt, greift ihn euch, das ist er?
    Sie wissen Bescheid über mich, werden sie sagen, sie haben mich studiert, mich, meine Arbeit, mein Leben, meine Herkunft, meine Leistungen und auch, da mag ich mich nur beruhigen, auch meine Fehler, und Mücke legt seine Hand, die so groß wie ein Aktendeckel ist, auf einen Aktendeckel, und ich weiß, unter dem Deckel sind meine Akten, und in denensteht alles über mich, meine Arbeit, mein Leben, meine Herkunft, meine Leistungen und meine Fehler.
    Alles? Alles nicht, und wo etwas fehlt, stecken Möglichkeiten. Meine Laufbahnblätter liegen säuberlich und festgeklemmt übereinander; auf einem Foto wären sie nichts als ein Körper aus Papier, Rauminhalt etwa sechstausend Kubikzentimeter, sechs Liter Lebenslauf, Fragebogen, Aktennotizen, Beurteilungen, Einstellungsverträge und Auszeichnungsurkunden, aber wenn statt eines Fotografen ein Zeichner mit Augen für die Wahrheit im Wirklichen den Aktenpacken abbildete, dann würde womöglich eine Treppe daraus, ein Stufenweg von unten nach oben in diesem Falle, kein bequemer, wahrlich nicht, keine fast unmerklich aufwärts schwingende Treppentrasse wie die im Goethehaus zu Weimar, keine pfeilgerade Himmelsleiter, ein vertikaler Stolperpfad vielmehr, eine gewundene Stiege oft, ein Kletterweg mit ausgewaschenen Rinnen und sperrenden Traversen, ein knarrender und löchriger, nicht immer gut beleuchteter Aufgang, ein im Wetter schwingendes Fallreep manchmal gar über dunklem Wasser im dunklen Grund, aber dann wieder glitzernde Gangway oder sogar von Selenzellen kommandierte Rolltreppe mit synchron laufendem Geländer, aber oft auch wieder nur ein Seil, ein Strick, ein vielfach verwendbarer, weil zu mehreren Zwecken knüpfbarer Strick, hautschürfender, muskelzerrender, atemraubender Hand-über-Hand-Aufstieg – aber immer Auf-, nicht Abstieg, im ganzen immer der eine Weg mit der einen Richtung, der Weg nach oben.
    Dort aber in der Obersten Abteilung sitzen keine Zeichner und Maler mit einem Faible für Übernatur, Natur allein genügt ihnen, weil die ihnen genügend zu schaffen macht, sie danken für Surrealismus, Realismus ist schon schwer genug, Chagall, bitte, wenn’s sein muß, aber nach ihrer Ansicht muß er meistens nicht sein, und jedenfalls in Kaderfragen hat er nichts verloren. Sie sehen auch Wahrheit im Wirklichen, aber andere Seiten davon, und in meinem Kilo Lebenspapier sehen sie: Hier ist der Mann, den wir suchten.
    Sie sehen einen, der getan hat, was er mußte, der gegeben hat, was ihm abverlangt wurde, der anders geworden ist, als er war, und blieb, was er gewesen ist, der Versprochenes gehalten und mit Vergangenem gebrochen hat, der zu ihnen fand und zu sich, der einstecken und austeilen konnte, kein schlechter Lehrer war und ein guter Schüler; sie sehen einen Gehorsamen, der Gründe hören will, aber auch einen, der einen Befehl von einem Vorschlag unterscheiden kann und klarzumachen weiß, wann er befiehlt; sie sehen einen mit Kreuz, der oft ein Kreuz gewesen und den Feinden eins geblieben ist, einen Getreuen, der geschwankt hat wie ein Baum und steht wie ein Baum; sie sehen einen jungen Mann,
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