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Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum
Autoren: Hermann Kant
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später: »Ja, der ist eben blind.« Er war wirklich blind. Er war Heizer gewesen auf einem Schiff; da war einmal ein Wasserstandsglas geplatzt.
    Er war auch in der Schlacht im Skagerrak gewesen, und in Kiel hatte er in einem November etwas getan, von dem meine Mutter nur flüsterte.
    Sie verstanden sich nicht gut, meine Mutter und ihr Bruder; die wenigen Besuche endeten meist mit Streit, weil mein Onkel so unvorsichtig war, und mein Vater war ihm zu still. »Der ist eben blind«, sagte meine Mutter über ihren Bruder.
    Zu mir war er nett, stellte sogar, um sich mit mir zu unterhalten, das Radio ab; ich verstand sowieso nicht, was die da sprachen, ausländisch und auch sehr leise. Ich mußte erzählen, was ich schon alles in der Stadt gesehen hatte, und mein Onkel freute sich, und ich habe ihm gern erzählt.
    Ich habe ihm auch von dem Urlaub erzählt, wie unverhofft der gekommen war und was ich doch für ein Glück mit meinem Meister hatte.
    »Ja«, sagte mein Onkel, »zusätzlich Urlaub ist schön. Hat er dir denn auch dein Geld gegeben?«
    »Fünf Mark die Woche«, sagte ich, »so steht es ja auch im Lehrvertrag. Aber zusätzlich ist der Urlaub nicht. Das ist jetzt mein Urlaub, nicht?«
    »Kannst weit mit springen, fünf Mark«, sagte mein Onkel, »aber wieso ist das denn dein richtiger Urlaub? Ich denke, du hast ihn so holterdiepolter gekriegt?«
    »Das schon«, sagte ich, »aber wo doch mein Meister verreisen mußte!«
    Da war mein Onkel gar nicht mehr nett. Er hat getobt und meinen Meister einen Hund genannt und alle MeisterHunde, seltsame Hunde: Ausbeuterhunde! Mich hat er auch beschimpft, weil ich mir das gefallen ließe.
    Der ist eben blind, dachte ich, der kann nicht sehen, und da kann er manches auch nicht richtig verstehen. Darum erklärte ich es ihm noch einmal: Hier konnte nicht die Rede sein von »sich gefallen lassen«; einmal ließ ich mir so einen unverhofften Urlaub nur zu gern gefallen, und was hieß: gefallen lassen – ich war Lehrling, mein Meister war Meister, war der Chef, war der Herr vom Geschäft, war mein Herr, war der Betriebsführer, nicht?
    Da hat mein Onkel in Ruhe mit mir gesprochen, aber ich habe gesehen, daß ihn das sehr angestrengt hat, und vielleicht nur deshalb habe ich ihm geglaubt, was ich verstanden habe.
    Alles habe ich nicht verstanden, und ich habe mehr Fragen mitgenommen, als ich Antworten bekam.
    Aber die Antworten und die Fragen sind mir im Kopf herumgegangen, auch noch, als ich wieder über Mölln nach Ratzeburg fuhr, und auch, als ich wieder in meines Meisters Werkstatt war.
    Der fragte mich, wie es im Urlaub war, und ich sagte ihm, gut sei es gewesen, und ich dachte: Wenn du aber denkst, daß ich es noch herrlich finde, wenn du mir meinen Urlaub gibst, wann es dir paßt, und mich nicht erst fragst, ob es mir paßt – nee, das denk man nicht! Ich hab gehört, das war schon mal anders, und das muß auch anders sein. Ich hab auch gehört, ich verdiene hier zwar was bei dir, aber ohne mich würdest du gar nichts verdienen, man hat mir das vorgerechnet. Und man hat mir auch gesagt, ich soll auf die Sachen nicht bloß von deiner Seite her kucken; ich soll auch mal von meiner Seite her kucken, da sehen die Sachen manchmal anders aus.
    Nein, einen Hund habe ich meinen Meister nicht einmal in Gedanken genannt, und schon gar nicht so umständlich einen Ausbeuterhund, aber ich habe ihn eigentlich auch nie mehr einen herrlichen Mann genannt, obwohl er ein guter Mann gewesen, wie sich zeigte, als mein Vater gestorben war.
    Aber herrlich, nein, dazu hatte ich nun schon zu oft auf die Sachen mit meinen Augen gesehen; es ist mir beinahe Gewohnheit geworden, und meine Mutter hat das früh gemerkt, und als sie heraus hatte, daß meine neue gehässige Art auf den Besuch bei ihrem verbitterten Bruder zurückzuführen war, da sagte sie: »Ja, der ist eben blind!«
    Das sah ich aber anders.
     
    Als der Westberliner Polizist mich in seinem Gewahrsam hatte, weil auf meinen verbotenen Flugzetteln von friedlicher Verständigung die Rede war, da sagte er auf den Stufen seines Reviers zu mir: »Das werden wir euch Brüdern ein für allemal austreiben!«
    Soweit der Polizist, und nun ich: Ich tat etwas, wofür ich zu Hause Schelte bekam, weil es in schreiendem Widerspruch zum Text meiner Zettel gestanden hatte, weil es schädlich und sinnlos war und weil ich es nur aus einem Westberliner Kino hatte haben können: Ich hörte dem Polizisten zu, bedachte, was er mir austreiben wollte, und das
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