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Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum
Autoren: Hermann Kant
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und das ist nicht nur lediglich die Hälfte eines Lebens, es ist auch die ganz andere Hälfte eines ganz anderen Lebens.
    Nein, ich werde nicht sagen, das eine gilt nichts und das andere gilt alles, auf der einen Seite alles und auf der anderen nichts – so verteilt Harlekin, sagt der liebe Gott im Sansculottenlied, ich will nur den Unterschied nicht übersehen zwischen diesen zweimal zwanzig Jahren.
    In meinen ist es eigentlich nie um das Leben gegangen, nur immer um ein gerechteres, nützlicheres, ruhiges, friedliches, anständiges Leben.
    In meinem hat auch gezahlt werden müssen, aber die Löcher im Magen, wenn ich welche hätte, Gott behüte, kämen vom Kantinenfraß, vor allem vom ausgelassenen, weil gerade Umbruch war oder ein Rechenschaftsbericht nicht fertig oder ein Bild versaut oder ein Mitarbeiter stur oder ein Chef noch sturer, und die Löcher in der Lunge, wenn ich welche hätte, Gott behüte mich noch mehr, kämen vom Tabakskraut, erst dem groben aus Nachbars Garten und dem nicht minder groben von der Freunde Sowchose und schließlich dem feinen Gemisch mit der Chemie von Dresden, und wären wieder nur die Spuren von verspätetem Umbruch, überzogenen Terminen, überhitzten Debatten, kritisierten Konzeptionen, mangelhaften Vorlagen, verlorenen Wortgefechten und gewonnenen, schweren Entscheidungen und zu leicht gemachten, wären Folgen von Anleiters Mühen und Auswerters Leiden, wären Narben aus dem großen Krieg mit Buchhaltern und Hauptbuchhaltern, Abonnenten und Papierlieferanten, Sekretärinnen und Bezirkssekretären, gelassenen Fachleuten und erregten Laien, Abgeordneten und Abordnungen, Vorgesetzten, Vorsitzenden und Vorsätzen, wären der Rückstand von an zu kurzen Tagen und in zu langen Nächten erkämpftemFortschritt, wären wunde Punkte, zugezogen im Kampf um das wirkliche, das einzige, das wahre deutsche Wunder.
    Das immerhin wären sie, und deshalb teile ich nicht wie Harlekin, mache meine zwanzig Jahre nicht zu einem Nichts, zähle
nicht nicht
, was
nicht
am Ebro geschah und an der Wolga richtigem Ufer, schmähe mich nicht, weil ich für die Sache kein Blut, sondern nur Schweiß vergossen habe, weil ich aus Blei nicht Kugeln goß, sondern Lettern, weil ich aus Papier nicht Flugblätter machte, sondern Zeitungen, weil ich nicht in jenem Klassenkrieg gestanden bin, sondern in diesem.
    Denn immerhin, das bin ich. Die »Mühen der Gebirge« kenne ich nicht, wohl aber die der Ebenen. Die wohl, die sehr. Und daß sie zählen, sehe ich ja. Wie anders sonst der ehrenvolle Vorschlag jetzt? Ich wollte nur bitten – ich habe es vielleicht ein wenig zu beredt getan –, man möge die Zahl zwanzig nicht als eine Chiffre für Gloire betrachten; ich habe die zwanzig Jahre nicht überlebt, ich habe sie einfach und ohne besonderen Aufwand erlebt, ich habe gelebt in ihnen als ein Zeitungsmann und Parteimitglied, und sicher heißt das: als ein hart arbeitender Mensch, aber so kann es von ungeheuer vielen heißen, und deshalb frage ich hier noch einmal: Warum nun gerade ich?
    Weil ich nicht nur so lange, sondern auch mit solchem Erfolge dabei bin? Weil zuunterst in meinem Kaderpaket »Laufjunge« steht und zuoberst »Chefredakteur«? Ich bitt euch, das ist doch nur der Lauf dieses Teils der Welt. Da weiß ich euch viele. Und ich, ich hatte sogar noch meinen Spaß an dem, wofür ihr mich nun preisen wollt. Nehm ich’s genau, so war hier Sport im Spiel und Übermut und der Gedanke, ich sollte einem alten Mann zu einem Schuß Prophetenglück verhelfen.
    Sie hatten mich als Laufjungen eingestellt, damals, fünfundvierzig, bei meiner Zeitung, die inzwischen wirklich beinahe meine Zeitung ist; ich war achtzehn, also eigentlich nicht mehr ganz ein Junge, aber ich konnte nichts, was jetzt als brauchbar galt, nur laufen konnte ich und hielt mich für jede Strecke gut und für nichts anderes.
    Das erboste meinen ersten Chef ganz außerordentlich. »Waaas«, schrie er, und schon dies erste Wort, das ich von ihm hörte, erschreckte mich sehr, denn er schrie es wirklich, mit Donner und Galle und Katastrophe im Ton, und es schüttelte ihn dabei, als führe ihm ein Strom durch den Leib, mit einer Voltage, ausreichend für die Trennung von Eisen- und Kupfermolekülen, »waaas, als waaas hat man dich eingestellt, als Lahauffjuunngenn?«
    Er brüllte es so, als hätte auf dem Zettel, den ich ihm gebracht hatte, gestanden, er habe mich als einen frisch unter Vertrag genommenen Muttermörder anzusehen, als einen soeben
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