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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern
Autoren: B Meinhardt
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in denen er sich weigerte, auf das Angebot einzugehen, ja geradezu hineingesteigert hatte er sich in seine Abwehr, zum Helden wuchs er, auch er, denn das ließ er nun wirklich nicht mit sich machen, nein er ließ sich nicht ruhigstellen, verhohnepipeln, niederdrücken mit Hilfe dieser Auszeichnung, er wurde gar handgreiflich gegen Kutzmutz in den Nächten. Aber an den Tagen, da verhielt er sich still. Er wußte längst, er würde fahren; um so ungestümer und haltloser sein neuerliches Rasen und Wüten, wenn es wieder dunkel wurde …
    Und so, wie er in der Tucholskystraße durch die Gänge stapfte, so saß er jetzt hier vor Willy, mit verkniffenem Gesicht, so ungut war er sich selber.
    »Ist es dir wichtig?« brachte Willy aus trockener Kehle hervor, er wünschte jetzt doch ein Gespräch, er hatte vor, sich doch schon ein wenig zu verausgaben.
    »Du meinst, ob es mir wichtig sei, nach Westberlin zu kommen? Früher mag das so gewesen sein – bis vor kurzem.«
    »Warum?« Willy schien höher zu rutschen mit seinem eingedrückten Schädel, ein paar Millimeter nur, und trotzdem, eine richtige Bewegung war das.
    Erik genoß die mühevolle Aufmerksamkeit, die ihm auf einmal von seinem Vater zuteil wurde, und gleich offenbarte er sich Willy, aus Dankbarkeit: »Nicht weil ich was sehen wollte von der Welt … das auch, jeder will doch was sehen. Aber es war nicht entscheidend, es wäre verblaßt im Vergleich zu der Anerkennung, die darin gelegen hätte … in den Reisen. Nur darum ging es mir, wenn ich ehrlich bin. Und deshalb ist mir die Möglichkeit jetzt egal – weil mittlerweile überhaupt nichts Würdiges und Wichtiges mehr in ihr liegt.«
    Willy drückte sein Kinn gegen die Brust, was sollte das darstellen, ein Nicken? »An manchem«, er befeuchtete mit der Zunge seine Lippen, so wie er es nun immer wieder tun würde, »an manchem, was mir manche vorwirft, bin ich schuldlos … tja … und an manchem, was mir niemand vorwirft, bin ich schuld, so verkehrt ist die Welt … aber ich weiß es und will es dir sagen … obwohl es schon zu spät ist, zu spät. … Meine Anerkennung wäre die richtige gewesen für dich, aber du hast sie nicht gekriegt … und darum bist du ohne Selbstgewißheit geblieben und der falschen Anerkennung hinterhergerannt die ganze … die ganze Zeit … hör mal, du mußt aufhören damit, wenn du noch kannst … siehst du, es ist schon zu spät, sage ich … auch schon wieder eine fehlende Würdigung meinerseits, merkst du, ich trau dir nicht mehr zu, daß du aufhörst … verzeih mir … und belehr mich eines Besseren, das ist mein Wunsch an dich … versuch mich eines Besseren zu belehren, auch … auch wenn ich davon nichts mehr erfahren werde.«
    Da war Willy was geglückt. Mit ein paar Sätzen sich anzuklagen und Erik gleich dazu, ihn noch mehr als sich selber. Erik schaute auch dementsprechend finster, Erik dachte an stolze Momente, von denen Willy nicht die geringste Ahnung hatte, richtig, er konnte Willy sogar jetzt schon eines Besseren belehren. Nur, durfte er das auch? Warum nicht: Der Vater würde das Krankenhaus nicht mehr verlassen, buchstäblich jedes Wort, das er jetzt noch hörte, würde er mit ins Grab nehmen, und somit war in diesem Fall natürlich auch die Unterschrift bedeutungslos, die der mächtige Lütt einst gekriegt hatte, jenes erzwungene Gelübde, welches Erik den Mund selbst gegenüber seiner hochsozialistischen Carla verschlossen hatte, so streng war er in dieser Angelegenheit gewesen, oder so furchtsam.
    »Ich bin gar nicht allen Anerkennungen hinterhergerannt«, sagte er stolz und auch einigermaßen trotzig, »weil bei der Firma, da habe ich nämlich nicht mitgemacht. Da habe ich abgelehnt, siehst du.«
    »Sie haben dich gefragt?«
    »Haben sie, ja.« Er blickte erwartungsvoll zu Willy.
    Aber Willy blickte, anstatt was zu sagen, plötzlich an Erik vorbei, warum ließ er es schon wieder an Würdigung fehlen?
    Er hatte die Tür in seinem Blickfeld, dernderwegen, und die Tür war gerade aufgegangen. Und das war Britta, die jetzt eintrat, nach ihrer Sekunde der Verstörung, in der sie auf der Schwelle wie erstarrt gestanden hatte.
    »Mmh, meine Lieblingstochter«, mit jenem ihm eingebrannten Spruch versuchte er, sie an sich heranzuziehen.
    Und es glückte, sie lief, Erik kurz über den Rücken wischend, zu Willy und scheute sich nicht, sein knochiges Gesicht mit beiden Händen zu umfassen, oder sie scheute sich und ließ es sich nicht anmerken. Zum hundertsten Mal
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