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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern
Autoren: B Meinhardt
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gleich an, daß Leute vom Staatszirkus erscheinen würden, um mich stante pede abzuwerben. Und daran habe ich nun tatsächlich nicht gedacht, daß so was geschehen könnte. Er versichert’s mir aber. Weil man, so lautet seine Begründung, als Staatszirkus ungern dumm dastehe gegenüber einem privaten Krauter. Und man werde noch eine Weile dumm dastehen, denn es brauche Zeit, so eine Nummer, wie wir sie hätten, selber zu entwickeln, wer wüßte das besser als ich. Deshalb werde man sich also bei mir melden. Keine Chance, beruhige ich Devantier, ich sei glücklich bei ihm, diese Leute könnten gleich wieder abziehen. Er aber: Das möge ich mir gut überlegen. Ich hätte ja viel weniger Arbeit bei diesem Zirkus dort, ich brauchte garantiert keine Mistgabel mehr anzurühren, in meinem ganzen Leben nicht mehr, und mit Freizeit und Geld würde ich auch zugeschüttet. Wörtlich sagt er: Dein Glück wird dort noch größer werden, als es hier ist, und bald wirst du in deinem früheren Glück bloß noch eine grauenvolle Plage sehen und dich fragen, wie hab ich’s da nur so lange ausgehalten? Ich erkläre natürlich empört, daß ich meine Zeit bei ihm nie als Plage betrachten würde. Devantier aber setzt noch einen drauf. Wenn ich das Angebot annehmen wolle, das, er wiederhole sich, mir auf jeden Fall vorgelegt werde, so möge ich es ihn verhandeln lassen, denn ich hätte ja gar keine Ahnung von den Modalitäten, er dagegen kenne die Brüder aus dem Effeff, er werde bei ihnen unbedingt das Beste für mich herausschlagen. Da werde ich aber richtig ärgerlich, als ich das höre. Sie reden ja gerade so, als ob Sie mich loswerden wollen, rufe ich, das finde ich grauenvoll. Und er? Lächelt nur und sagt kein Wort mehr, seltsam, nicht? Erst später, als der Staatszirkus sich tatsächlich meldete, ging mir auf, was hinter diesem Lächeln gesteckt und worauf Devantier mit seiner ganzen Argumentation abgezielt hatte. In die Zwickmühle gebracht hat er mich nämlich mit seinem Angebot. Was für ein Schlawiner, wirklich! Es war ja nun so: Träfe ich mich hinter seinem Rücken mit diesen Leuten, hätte ich gleich ein schlechtes Gewissen, allein deswegen, weil ich Devantier überginge. Holte ich ihn aber wie von ihm gewünscht zu den Verhandlungen an meine Seite – wäre alles noch viel schlimmer, denn wie könnte ich ihn einspannen, um ihn und seinen Zirkus zu verlassen? Und das hat er schon vorausgesehen, so wie er alles voraussieht …«
    Britta wollte noch vervollständigen, sie habe dann abgesagt, ohne die Leute auch nur zu treffen, aber was war das, was sie jetzt an Willy entdeckte, Wehmut? Die Wehmut eines Totgeweihten, dem lang und breit von der Weisheit eines anderen berichtet wird, die war das. Britta, nachdem sie’s endlich begriffen hatte, beugte sich erschrocken über Willys Gesicht, sie begann wie versessen ihre Wange an seinen Knochen zu reiben und flüsterte: »Aber du bist der Beste, der einzige, bist du gewesen bis heute, und auch immer, das sag ich dir. War doch eben alles nur Erzählung, ich wollte bloß für dich erzählen, und ich … wollte nicht traurig sein.«
    Erik wiederum, der entdeckte nun auf Willys Gesicht etwas Glänzendes und Tropfenförmiges, aber das hatte wohl nicht Willy selber produziert, das war wohl gleichzeitig mit den letzten Worten aus Britta herausgekommen.
    *
    Endlich erschien Matti. Er war ziemlich außer Atem, bestimmt hatte er den ganzen Weg vom Bahnhof im Laufschritt zurückgelegt, so sah’s aus. Nachdem er verschnauft und vor allem sich gefaßt hatte, sagte er zu Willy: »Catherines Bauch läßt zurückgrüßen.«
    Ein paar Sekunden brauchten die anderen beiden, ehe sie sich einen Reim darauf machen konnten. »Wirklich?« fragten sie dann beinahe zeitgleich in Mattis Richtung, aber ja, sie hatten schon richtig verstanden, sie durften sich eingeweiht fühlen.
    Ihre Blicke kriegten ein für Krankenhausverhältnisse ungewöhnliches Strahlen, doch mehr sagen oder gar in Jubel ausbrechen wollte niemand angesichts des siechen Willy.
    Es war aber Willy selber, der aussprach, was sie nur insgeheim zu denken wagten, erst befeuchtete er wieder seine Lippen mit seiner langsam rundherum fahrenden Zunge, dann sagte er genauso langsam: »Tchja, Leben vergeht, Leben entsteht.«
    Durchdringend schaute er von einem zum anderen, wie um jeden noch zusätzlich mit der Wahrheit zu konfrontieren. Sie kannten sie ja alle, sie war eigentlich auch nicht mehr als ein Gemeinplatz, doch er war nun richtiggehend
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