Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern
Autoren: B Meinhardt
Vom Netzwerk:
20 Meter bis zum Eingang. Er ging mittlerweile auf Höhe des ersten Lasters, des ersten von wie vielen? Von fünfen. Einer der Männer aber, die auf der Ladefläche standen, wurde auf ihn aufmerksam. Mit einem Satz sprang er herunter, wortlos postierte er sich vor Willy und hinderte ihn, auch nur noch einen Schritt zu tun. Gleichzeitig stieß er einen leisen und doch scharfen Pfiff in Richtung des Bunkers aus. Sofort löste sich dort jemand, der bislang unsichtbar gewesen war, an der Bunkerwand hatte er sich wohl aufgehalten, in einem lichtlosen Winkel. Und wie er lief, das kam Willy halbwegs bekannt vor. Aber ehe Willy ihn anhand seines Schrittes zu identifizieren vermochte, war der Mann auch schon heran, und Willy erkannte an seinem Gesicht, um wen es sich handelte: um Felix Freieisen.
    Mit einer Kopfbewegung bedeutete Freieisen seinem Untergebenen, er möge zurück auf den Laster klettern. Dann beschied er Willy: »Du kannst hier nicht mehr rein.« Mehr sagte er nicht, er wartete einfach, mit dem Rücken zum Bunker und den Händen in den Manteltaschen.
    »Was soll das heißen?« Bevor er das fragte, hatte Willy eine Sekunde gedacht, es zeuge von großer Erfahrung und Gelassenheit, wenn er sich jetzt umdrehte und ginge, wenn er Freieisen wortlos stehenließe, denn ausrichten könne er ja sowieso nichts gegen ihn. Aber dann hatte er es doch fragen müssen. Er war hier schließlich der Direktor gewesen. Nebenan wummerten seine Maschinen. Er ließ sich hier nicht abweisen wie ein Schuljunge.
    »Ich bin nicht befugt, dir das zu erklären. Du kannst hier nicht mehr rein«, wiederholte Freieisen mit versteinerter Miene. Auch postierte er sich breitbeiniger.
    »Ich habe hier aber eine Aufgabe zu erfüllen.«
    »So?« fragte Freieisen sarkastisch.
    »Ja, ich habe hier Messungen durchzuführen.« Es erzürnte ihn, Freieisen etwas erklären zu müssen, das dem nur allzu bekannt sein dürfte.
    »Aber du hast deine Aufgabe nicht erfüllt. Heute mittag habe ich hier eine geschlagene Stunde umsonst auf dich gewartet, das fand ich gar nicht lustig. Im Anschluß habe ich bei dir zu Hause geklingelt, aber tja, da warst du auch nicht. So wichtig kann dir deine Aufgabe also nicht sein, wenn du dich irgendwo herumtreibst, statt ihr nachzukommen.«
    Freieisen hatte geklingelt? Das hatte Willy nicht gehört. Er wollte aber nicht zugeben, daß er geschlafen hatte, er fragte: »Warum hast du überhaupt auf mich gewartet, wenn du mir sowieso nichts sagen darfst oder willst.«
    »Um mir von dir den Bunkerschlüssel aushändigen zu lassen.« Freieisen streckte die Hand vor.
    In Willy arbeitete es. Freieisen mußte nach seiner vergeblichen mittäglichen Suche ihr jetziges Zusammentreffen einkalkuliert, wenn nicht erwartet haben. Und dennoch hatte er seine Aktion anlaufen lassen, daraus ließ sich zweierlei entnehmen: daß sie offensichtlich keinerlei Aufschub duldete und daß er, Willy, von Freieisen als zu alt und zu ungefährlich eingeschätzt wurde, um hier noch irgendwelchen Ärger zu machen. Da regte sich mehr Widerstand in ihm, und er sagte: »Den Schlüssel kriegst du nicht. Der Schlüssel gehört der Zivilverteidigung.«
    »Ich habe mich wohl verhört?« Mit den Fingerspitzen seiner ausgestreckten Hand stieß Freieisen schon an Willys Jacke.
    Willy wurde aber richtig keck, er war Patriarch und Direktor und sehr jung noch einmal, das hatte Freieisen alles aus ihm herausgekitzelt, das schlug Freieisen jetzt alles entgegen, Willy fragte ihn barsch: »Was stellt ihr hier überhaupt an?«
    Er schaute, als Freieisen nicht antwortete, zu dem Laster neben ihnen, jemand stapfte keinen Meter entfernt an ihm vorbei, ein zusammengeklapptes schweres Gestänge war es, das der trug – ein Feldbett? Ein Feldbett, jawohl.
    Jedoch fand Willy keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, zu welchem Zweck die vielen Betten in den Bunker geschleppt wurden, Hunderte mußten das ja sein, denn Freieisen war auf einmal hinter ihm, packte ihn an beiden Handfesseln, drehte ihm die Arme mit einem Ruck über den Kopf und stieß ihn zu Boden.
    Daß Freieisen ihm dann den Schlüssel aus der Tasche zog, merkte Willy schon gar nicht mehr. Was er jetzt noch spürte, war einzig und allein der neuerliche Infarkt. Etwas hatte ihn von innen zerblitzt, und nun schmolz er zusammen, wie ein Wurm gekrümmt wälzte er sich in dem Schmerz, den er absonderte.
    *
    Der Arzt im Krankenhaus beruhigte die Kinder am Telefon: Wenn sie jetzt auch noch nicht mit dem Patienten sprechen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher