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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern
Autoren: B Meinhardt
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bei sich hocken, herrje, ihrer beider Kinder hatten einander ein Kind gemacht, da mußten doch auch sie beide jetzt gleich zusammenkommen. Willy war geradezu begierig, sie zu umarmen und sich von ihr umarmen zu lassen; reinste Freude empfand er schon bei der Vorstellung, wie er bei ihr Sturm läuten und sie ihm daraufhin ihr frohes Gesicht zeigen würde.
    So schritt er aus, stürmisch wie lange nicht mehr. Nur auf der Schorba-Brücke mußte er vorsichtig sein, denn nasses Laub bedeckte die krummen Holzbohlen, das konnte rutschig werden. Er hielt sich im Gehen an dem Holzgeländer fest, schliff es noch ein unsichtbares kleines bißchen glatter, als es schon gewesen war, und betrat endlich das rauhe sichere Pflaster der Innenstadt. Unter seiner einen Sohle lugte vorn ein großes Blatt hervor, es platschte bei jedem Schritt fast wie eine Schwimmflosse, da blieb er stehen und streifte es sich mit der Spitze des anderen Schuhs ab.
    Und jetzt klingelte er, wie er sich’s vorgenommen hatte, Sturm klingelte er, und Marieluise ließ ihr Gesicht blicken.
    *
    Es war verweint. Sie wirkte auch überrascht, ihn zu sehen. Ihrerseits war sie wohl nie und nimmer auf den Gedanken gekommen, zu ihm zu gehen. War sie im ersten Moment nicht sogar zurückgezuckt vor ihm?
    Willy wagte nicht, sie zu umarmen, sondern sagte wie entschuldigend: »Heute ist ein besonderer Tag, und da dachte ich mir …«
    »Ja, natürlich, komm rein.« Sie vollführte eine Vierteldrehung, um ihn vorbeizulassen, und lächelte ihn dabei an, ihre Überraschung hatte sich jetzt allem Anschein nach gelegt.
    Während er in das Wohnzimmer hineinging, hörte er, wie sie sich hinter ihm schneuzte, aber als er sich dann umwandte, lächelte sie nur um so mehr, darum sagte er: »Du brauchst dich doch nicht zu schämen. Wein doch ruhig. Das sind doch schöne Tränen.« Er strahlte sie geradezu an.
    Marieluise legte den Kopf schief und biß sich auf die Unterlippe, nein, sie wollte jetzt um nichts in der Welt mehr weinen. »Einen Dujardin?« fragte sie und lief schon zu dem hohen Gründerzeitschrank, in dessen Türen die Andeutungen weiterer Türen eingelassen waren, und holte den Kognak heraus.
    »Auf unsere beiden, die uns also ein Enkelkind bescheren«, sagte Willy, während er sein Glas erhob, da stellte sie ihres ab und tat etwas, das Willy nicht erwartet hatte, nicht mehr nach der Szene an der Haustür: Sie drängte sich an ihn und gab ihn bestimmt eine halbe Minute nicht mehr frei; einmal machte er, der ja sein volles Glas hinter ihrem Rücken hielt, zwischendrin Anstalten, zurückzutreten, aber das duldete sie nicht, nur noch fester grub sie ihre Hände in seine Schulterblätter.
    Endlich ließ sie nach. »Na komm«, sagte Willy, und er griff auch nach ihrem Glas und reichte es ihr.
    Sie setzten sich, und Willy jubilierte: »Erst haben sie ewig lange gebraucht, um zusammenzukommen, und nun ging alles so schnell. Wie lang sind sie erst ein Paar?« Er wußte es natürlich, er wollte nur ein bißchen plappern in seinem unverhofften Glück.
    »Kein Jahr«, sagte Marieluise.
    »Siehst du, kein Jahr, und doch ist es das Normalste von der Welt, daß sie jetzt schon ein Kind kriegen, denn sie passen ideal zusammen. Alles geht wie von alleine bei diesen beiden, das sieht man wirklich selten. Weißt du, was mich verwundert hätte? Wenn sie jetzt kein Kind kriegen würden, jawohl.«
    Marieluise tat nichts als lächeln, ein leises, zurückhaltendes, wie bestelltes Lächeln war das. Als ob sie den Großteil ihrer aufrichtigen Freude in der langen Umarmung gelassen hätte.
    Und so war es Willy, der weiterredete: »Mit uns haben sie doch auch Glück, nicht? Ich meine, mit unserer Vertrautheit. Wir sind nicht wie andere Schwiegereltern, die sich erst kennenlernen müssen und sich dann vielleicht nicht riechen können und eine dämliche Konkurrenz um ihren Enkel aufmachen. Wird alles nicht passieren bei uns, wir werden uns das Kind teilen, zumal wir ja ganz nahe beieinander wohnen. Im Grunde können wir es gemeinsam betreuen, wenn es hier in Gerberstedt ist, du bekochst es, und ich spiele mit ihm, und mal schläft es bei dir, und mal bei mir, und egal wo es gerade schläft, beide sagen wir ihm Gute Nacht, oder meinetwegen manchmal auch nicht beide, völlig egal, wir werden bald als ein Großelternpaar gelten für das Kind.«
    Er schaute nickend Marieluise an, aber weder nickte Marieluise zurück, noch schenkte sie ihm wieder ihr Lächeln.
    »Meinst du nicht?«
    »Ich meine so manches
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