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Dein Name

Titel: Dein Name
Autoren: Navid Kermani
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    Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Es ist Donnerstag, der 8. Juni 2006, 11:23 Uhr auf dem Laptop, der einige Minuten vorgeht, also 11:17 Uhr ungefähr oder, da er den Satz noch schreibt, 11:18 Uhr. Ein Schreiner, der mit achtundsiebzig Jahren so alt ist wie der Vater von Navid Kermani, hat eine Schreibtischplatte angefertigt und war so freundlich, vom Baumarkt zwei Malerböcke mitzubringen, auf die sie vorhin die Platte legten. In einer guten halben Stunde wird Navid Kermani im Rundfunk eine Reihe besprechen, die nach dem Heiligen fragt, sechs Sendungen über Sex, Barmherzigkeit, Rausch, Musik, Macht und Sterben, sechsmal das Heilige als Tuwort. Wer es ausspricht, überführt sich der Lüge, sagte er der Redakteurin gestern am Telefon. Die Erklärungen, die er sich für Lesungen zurechtlegt, verleiten in der Wiederholung dazu, sie selbst zu glauben. Im Bad seines neuen Büros, das eine Wohnung werden könnte, läuft die Waschmaschine, die der Vater vorgestern repariert hat. Der Vater wird sich über die Nachricht freuen, daß die Waschmaschine nicht mehr leckt. Die Sonne scheint auf die frisch bepflanzten Blumentöpfe des Balkons, wiewohl Navid Kermani an den nackten Füßen noch friert. Der Schreibtischstuhl, den er als Student ohne Sitzbrett beim Trödelhändler gekauft, selbständig erneuert und seitdem als einziges Mobiliar in alle seine Arbeitszimmer getragen hat, ist noch stabil genug, die Balkontür offenzuhalten. Der Rücken, genau gesagt ein Nerv rechts neben dem Brustwirbel, erlegt ihm längst teure Gesundheitsmöbel auf. Später am Tag wird das Regal geliefert, dann bringt er seine Frau zum Arzt, die letzte Woche außerdem an der Achillessehne operiert worden ist, holt die Tochter von der Schule ab und geht, wenn noch Zeit ist, ins Museum, weil er für ein Benefizbuch über ein Gemälde nachdenken soll. Neben Funk und Fernsehen nimmt auch der Kollege teil, der ihn vorgestern abend im Büro besuchte, um den literarischen Salon zu besprechen, den sie in der kommenden Spielzeit moderieren. Die organisatorischen Fragen klärt Navid Kermani morgen nachmittag mit der schönen Direktrice, die ihn vor dem Eröffnungsspiel besucht. Wüßte er bereits, daß er einen Roman schreibt, würde er an dieser Stelle eine Affäre erfinden. Noch ist Gelegenheit: Nach Jahren wieder werden sie allein sein im neuen Büro, in dem auch eine Matratze liegt. 11:31 Uhr auf dem Laptop, also 11:25 Uhr ungefähr. Er schaut ein weiteres Mal nach, ob das Bad trocken geblieben ist. Es war dumm von ihm, vorhin die Waschmaschine angestellt zu haben, denn jetzt muß er sie beaufsichtigen. Da um fünf die Putzfrau zum ersten Mal kommt, braucht er das Geschirr nicht zu spülen. Er hat sie vorhin bereits einen Block entfernt an der Tür des Hauses getroffen, in dem die Familie lebt. Sie hatte jemanden vom Flughafen abgeholt, ihren Bruder?, ihren Freund?, und gefragt, ob sie den Koffer im Hof abstellen dürfe. Er riet ihnen, den Koffer in den Flur des Hinterhauses zu rollen, damit er nicht geklaut würde. Sie spricht Spanisch mit ihm, obwohl er es kaum noch beherrscht. Er ist jedesmal stolz, wenn sie sich trotzdem verständigen. Es tut gut, wieder zu schreiben, was auch immer, Hauptsache, die Zeit vertreiben, über die er nach jedem Buch erschrickt. Er könnte die Kartons ausräumen oder die unveröffentlichten Erinnerungen seines Großvaters lesen, die ihm in die Hände gerieten, als er die Regale in seiner Wohnung leerräumte; statt dessen wartet er darauf, bis er wieder einen ersten Satz geschrieben hat. Wohl hat er dem Kollegen viel zu früh gesagt, was er sich vorgenommen, doch sich die Geschwätzigkeit schon oft bewährt, sosehr er sich zunächst ärgerte. Indem er ein Buch ankündigt, gerät er in Zugzwang, tatsächlich zu beginnen. Jetzt muß er zum Rundfunk, um das Heilige zu besprechen, obwohl die Waschmaschine noch läuft. Er wird beten, daß sie nicht das Bad überschwemmt. Sobald er kann, fährt er fort, wahrscheinlich erst heute abend, nachdem er die Tochter vom Judo abgeholt und die Frau zum Therapeuten gefahren hat. Er wird die Tochter mit ins Büro nehmen, damit sie hier schläft und er schreibt, was auch immer, Hauptsache, die Zeit vertreiben.
    Den Abend vor dem Eröffnungsspiel
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