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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom
Autoren: Martin Keune
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Ain’t Gonna Play No Second Fiddle«, eines druckvollen Blues, der ein paar Jazzenthusiasten im Publikum schon bei den ersten Wörtern zu begeistertem Zwischenapplaus animierte:
    Â»You must think that I am blind,
    you’ve been cheatin’ me all the time
    Whoa yeah, you still flirt
    But you’ll notice I ain’t hurt …«
    Bella sang, wie sie noch nie gesungen hatte; sie legte die ganze Aufregung der letzten Wochen, die Auseinandersetzungen mit der Polizei, die wirtschaftlichen und politischen Sorgen in ihre Stimme, die fürs Publikum vielleicht zunächst traurig klang, aber von einer unterdrückten, sich langsam steigernden Wut bebte. Bella blinzelte gegen die Bühnenscheinwerfer. Die Leute schwiegen neugierig; das war gut – dieser Song hatte seine eigene Dramatik und brauchte konzentrierte Zuhörer. Bessie Smith hatte dem Blues einen provozierenden, monotonen Sound gegeben; Bella akzentuierte mehr. Bessies »Fiddle« war eine Stahlfiddle gewesen; ihre eigene war aus Holz.
    Bella vergewisserte sich, dass die Jungs hinter und neben ihr jede Nuance mitbekamen; sie sollten mit zunehmendem Tempo nach und nach mit ihren Instrumenten in den Song einsteigen – zuerst der Bass, gefolgt vom Schlagzeug, einer Trompete im Satchmo-Stil, einer Rhythmusgitarre. Das Publikum hielt den Atem an, der Saal gehörte bei diesem A-capella-Gesang ganz ihr. Der erste Refrain brachte den träge gezupften Bass ins Spiel, dessen aufreizende Lässigkeit in einem aufwühlenden Kontrast stand zu Bellas nun den ganzen Saal füllendem Gesang:
    Â»Ain’t gonna play no second fiddle
    â€™cause I’m used to playin lead.«
    Und das Tempo zog, geführt von Bellas wütender werdender Stimme, langsam an. Der Schlagzeuger, ein talentierter junger Kerl namens Max Rumpf, griff lautlos zu seinen Sticks und untermalte die dunkle Stimme und das Grummeln des Basses mit einem quirligen Wischen auf den Becken. Er zählte in Gedanken mit, bereit für seinen rhythmischen Einsatz auf den übrigen Trommeln, zwei, drei, vier …
    Doch in diesem Moment trudelten ganz andere Töne in den Song, Töne, die vom gegenüberliegenden Ende des Saals zu kommen schienen: ganz unverkennbar eine Klarinette, die das Thema des Liedes aufnahm und in ein etwas atemloses, aber hinreißend gut gespieltes Klarinettensolo führte, das über den schweren Bluesakkordeon flatterte und Kapriolen schlug.
    Bella war ebenso überrascht wie das Publikum, das lachend auf seinen Sitzen herumfuhr und die ganze Inszenierung für beabsichtigt hielt. Sie hatte Sándors musikalische Stimme sofort erkannt und war stocksauer über die ungebetene Einmischung, ließ sich die Überraschung aber nicht anmerken, sondern tat, als wäre das Intermezzo Teil des Auftritts. Was sollte das?
    Sándor hatte das Café Jenitzky wie ein Rasender umrundet, zwei Türsteher umgerannt und sich in den großen, hoffnungslos überfüllten Saal geworfen. Er merkte augenblicklich, dass er die Bühne nicht mehr rechtzeitig erreichen würde, um den Schlagzeuger von seinem tödlichen Einsatz abzuhalten, und er erschrak fürchterlich, als er Bella, ausgerechnet Bella, auf der Bühne erkannte. Ihr langsam schneller werdender Song würde in ein paar Sekunden vom Schlagzeug begleitet werden, und dann war alles aus. Sándor nestelte die Klarinette aus der Manteltasche, die die Prügelei zum Glück unbeschadet überstanden hatte, sprang auf die Rückenlehnen der hintersten Sitzreihen, lehnte sich gegen die Wand, um nicht herunterzufallen – und spielte das Instrument um Leben und Tod.
    Dass das der wütenden Sängerin vorn auf der Bühne nicht recht sein konnte, war ihm klar, aber er musste Zeit gewinnen, Sekunden, Minuten – und spielte. Bella versuchte, ihm die Führungsrolle wieder abzunehmen, indem sie Zeilen des Songs dazwischensang:
    Â»I stood your foolishness long enough,
    so now I’m gonna call your bluff.«
    Was Sándor nur zu noch irrwitzigeren Hüpfern und Kieksern auf seinem Blasinstrument animierte, obwohl ihm allmählich die Puste ausging. Das Publikum applaudierte lachend über die ungewollten Quietscher und Japser, als wohnte es einem komödiantenhaft gespielten Streit zwischen musikalischen Eheleuten bei, aber es kam auch Unruhe auf, und Sándor sah, wie Bella, die sich ihren Song nicht länger kaputt machen lassen wollte, mit auffordernden
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