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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom
Autoren: Martin Keune
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gesehen als sein Vater und sein Großvater zusammen in ihrem ganzen Leben als achtbare Proletarier. Er hatte noch keinen Smoking im Schrank gehabt – das hatte sich inzwischen geändert –, aber trotzdem war er in den mondänsten Restaurants und Tanzpalästen unterwegs. Auch wenn es damals vielleicht nur einen bekloppten Zechpreller zu verhaften gegeben hatte.
    Apropos Tanzpalast: Höchste Zeit, standesgemäß den Feierabend einzuläuten. Lehmann sah auf die Armbanduhr und bog in ein Treppenhaus im Hofgebäude ein. Die Wagenmeisterei im Keller freute sich regelmäßig über seine kleinen Aufmerksamkeiten aus den Kneipenrazzien – eine Flasche Schnaps, sorgfältig in Zeitungspapier gewickelt – und war ihrerseits geradezu begierig darauf, ihm selbst ab und zu mal eine Freude zu machen.
    Unten in der Tiefgarage am Alexanderplatz standen die beschlagnahmten Karossen all der wilden Männer, die hier tagtäglich wegen ungebührlichen Betragens befragt wurden. »Was genau hat Sie emotional so aufgeregt, dass Sie den Bankkassierer und zwei unschuldige Bankkunden mit einem importierten 455er Webley-Revolver erschießen mussten?« Psychologie war der letzte Schrei, die Psyche der Täter wurde in dünne Scheiben geschnitten und vorsichtig unterm Mikroskop bestaunt. Man könnte uns für den Zoologischen Garten halten, dachte Lehmann, für Wissenschaftler, die voll Ehrfurcht eine neue Spezies erforschten – eine Spezies mit scharfen Zähnen zwar, aber ohne jede Spur von Bosheit. All die wilden Tiere töteten und raubten nur, weil das Gesetz der Wildnis es ihnen so befahl …
    Sándor lachte kopfschüttelnd auf. Immerhin gab es auch noch altmodische Methoden, zum Beispiel die Spurensicherung – und sein Chef Gennat war bei allem Interesse für die menschliche Psyche vor allem auch ein exzellenter Handwerker. Ein Einschuss in der Beifahrertür, ein Blutfleck auf der Rückbank oder ein Skelett im Kofferraum: alles gute Gründe, die einkassierten automobilen Beweisstücke auch mal den Kollegen in der Keithstraße am Wittenbergplatz vor die Nase zu halten. »Beweisstücksichtung« stand dann bei der Mordkommission im Protokoll, und wer es seltsam fand, dass er einen für die Überführung zwischen den Revieren bereitgestellten Maybach oder 260er Mercedes schon am Vorabend des geplanten Transportes aus der rolltorgesicherten Tiefgarage fuhr, sollte lieber froh sein, dass hier ein aufopferungsbereiter Bulle sogar nach Feierabend noch eigenhändig zur Aufklärung eines Falles beitrug.
    Diesmal war es ein eleganter roter Ford A, überschwänglich parfümiertes Beweisstück im Fall einer erpresserischen Hausbediensteten. Das rote Biest schnurrte vorbildlich am Berliner Schloss vorbei. Unter den Linden stieg das Premierenpublikum aus den Limousinen; Busse scheuchten die Radfahrer vor sich her wie der Hecht das Kroppzeug. Sándor Lehmann hupte, einfach nur so, weil sein sportliches Gefährt eine Hupe hatte. Der Frühling 1930 war warm und lebendig; die Stadt vibrierte; die Frauen, die bei jedem Hupen großäugig und verträumt aufsahen, waren noch schöner als vor ein, zwei Wochen. Er sann rhythmisch hupend vor sich hin. Im Eau-de-cologne-getränkten Innenraum des Wagens schien sich eine der frühlingshaft entblätterten Grazien schon mit glänzenden Lippen auf der Rückbank zu räkeln – nein, in Wahrheit kollerte dort nur die Klarinette im schwarzen Pappfutteral hin und her. Sándor betrachtete sein regloses, durch die kräftige Stirn und die flach gehauene Nase trotzdem ziemlich markantes Konterfei unter seinen Römerlöckchen im Rückspiegel und grinste. Ein hupender Bulle mit Klarinette und nicht ganz legal abgezweigtem Ford A auf seinem Weg in die Berliner Nacht: Es gab, weiß Gott, miserablere Anfänge für einen gelungenen Abend als diesen.

TEN CENTS A DANCE
    Der Pförtner in der Keithstraße 30 hätte so spät am Abend für die Hofgarage sowieso keinen Schlüssel gehabt, wenn Lehmann ihn danach gefragt hätte: Schon deshalb musste die Abgabe des knallroten Beweisstückes leider bis morgen warten, und Sándor hatte den Wagen über Nacht für sich. Einmal war es ihm tatsächlich passiert, dass ein blasierter Schnösel vor einem mondänen Weinrestaurant im Grunewald neben dem Corpus Delicti – einem aufreizend geschwungenen Mercedes in
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