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Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Titel: Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
Autoren: Johannes Clair
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AUF DEM WALL
    Eine Windböe fegt mir ins Gesicht. Für einen Moment spüre ich sie auf meiner Haut. Wie einen warmen Atem, den der Himmel wie ein Drache ausbläst, als wollte er diesen kargen Ort noch trostloser machen. Der Sand, der mir ins Gesicht wirbelt, hat sich auf meine spröden, ausgetrockneten Lippen gelegt und in meinen Augenbrauen verfangen. Die feinen Körner fühlen sich auf der nackten Haut rau an. Wenn ich mir mit der Hand über das Gesicht wischte, würden sie in den zahlreichen Kratzern und kleinen Wunden, die sich inzwischen über das ganze Gesicht verteilen, wie Feuer brennen. Spuren der vergangenen Tage.
    Unbarmherzig steht die Sonne schräg über mir, sie wird noch höher steigen. Es ist bereits jetzt so warm, dass die Kleidung wie ein nasses Handtuch am Körper hängt. Die Zunge klebt mir am Gaumen. Trocken schlucke ich herunter. Ich muss die Augen zusammenkneifen, um noch etwas erkennen zu können, so grell ist es. Dabei gelangen feine Sandkörner in meine Augen, weshalb ich sie sofort heftig öffne und schließe, ohne Erfolg. Aber das hilft wenigstens gegen die Müdigkeit.
    Ich liege still. Seit zwei Stunden. Seit zwei Stunden liege ich still und warte. Es ist über eine Stunde her, dass ich das letzte Mal angesprochen wurde.
    Um mich herum ist Ruhe. Der Boden unter mir ist spärlich mit Gras bedeckt, und die hellbraune Erde wirkt an manchen Stellen grau, wie in einem Garten, in dem man den Boden umgräbt und anfangs schwarze Erde hervortritt, bis sie an der Luft ihre frische Farbe verliert und blass wird.
    Rechts und links von mir wachsen wild wuchernde Büsche und einige dünne Bäume. Sie rahmen die kleine Lichtung ein, in der ich mich befinde. Von dieser Lichtung aus kann ich nach vorne die Umgebung einsehen, ohne dass allzu viel Bewuchs den Ausblick stören würde. Wenige Meter vor mir befindet sich ein Graben, der sich über die gesamte Breite der Lichtung und darüber hinaus erstreckt. Unter mir verläuft ein Wall, der zu diesem Graben hin sanft abfällt. Es muss sich ein wenig Wasser darin befinden, denn ein lockerer Gürtel aus hohem Schilf wächst daraus empor, das zwischen mir und dem dahinterliegenden Feld eine natürliche Barriere bildet. Es verbirgt mich vor dem direkten Blick von jenseits des Feldes. Dort, im Schatten einer Baumreihe, befindet sich ein weiterer Graben. Die kleinen, struppigen Bäume, denen der Staub eine seltsam blasse Farbe verleiht, sind vielleicht so weit entfernt, wie ein guter Fußballer einen Ball schießen kann, wenn er ihn aus der Hand kickt, und so breit, dass man sich bei angenehmeren Temperaturen schon sehr anstrengen müsste, um das ganze Stück im Sprint zurückzulegen. Jetzt scheint es unmöglich.
    Sehr weit reicht mein Blick nicht, so dass ich nur erahnen kann, was sich dort abspielt. Am linken Ende der Baumreihe beginnt eine Schonung aus zierlichen Bäumen und verdeckt das dahinterliegende Dorf. Die Häuser sind vereinzelt darüber zu sehen. Das Feld vor mir ist bereits abgeerntet worden. Die Stoppeln, die sich mal mehr, mal weniger dicht über den gesamten Acker verteilen, wurden noch nicht in den Boden eingearbeitet. Am Feldrand stehen große Säcke. Wahrscheinlich enthalten sie die Ernte oder das Stroh, das übrig geblieben ist. Man kann es auf dem Feld liegen lassen, denn es fängt hier erst kurz vor dem ersten Schneefall an zu regnen.
    In der Ferne erheben sich die Ausläufer mächtiger Berge. Sie leuchten rot in der Sonne und scheinen in fahlem Grau, wo der Schatten sie bedeckt. Sie sind einige Kilometer entfernt, und doch ist es möglich, die steilen Felsgrate zu erkennen, die wie die Arme eines Kraken in meine Richtung ragen, und die dunklen Täler, die dazwischenliegen. Die Berge wirken wie eine Wand aus Fels, die das Tal begrenzt, in dem ich mich befinde. Unüberwindbar, aber doch nicht bedrohlich, mehr wie eine Kulisse, die lediglich die Szenerie begrenzt, in der sich die Handlung abspielt. Als wären die Berge schon zu lange vor uns und auch noch zu lange nach uns dort, um sich für das zu interessieren, was gerade um sie herum passiert.
    Die Kühle der Nacht ist nun endgültig der Hitze eines neuen Tages gewichen. Weit entfernt höre ich ein paar Vögel und das Rumoren von Motoren. Das nun lauter werdende Brummen dringt nur sehr schwach an mein Ohr. Ich versuche es auszublenden, um konzentriert zu bleiben, und stecke den Gehörschutz ein Stück tiefer in meine Ohren.
    Bäuchlings liege ich auf dem Wall, so dass der größte Teil
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