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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom
Autoren: Martin Keune
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Lehmann fuhr zusammen. Da stand ein Mann im Smoking, ganz unverkennbar ein Musiker, ein Typ mit einem verschmitzten Gesicht und einer kuriosen runden Hornbrille, und klatschte.
    Â»Gestatten – Julian Fuhs. Ich wollte meine Instrumente abholen; vor zwei Jahren ist all das Blech und Holz auf dem Weg von Chicago hierher irgendwo über Bord gegangen … Ich habe längst neue gekauft, aber man hängt ja doch an den alten Schätzchen. Schön, dass Sie so gut darauf aufgepasst haben, junger Mann.«
    Er kam näher und streckte die Hand aus, eine entschlossene, weiß behandschuhte Rechte.
    Â»Was Sie da gerade mit meiner Klarinette gemacht haben, das war … ungewöhnlich. Wenn Sie übermorgen Nachmittag in meiner Jazzband vorspielen, dürfen Sie das Instrument als Dankeschön behalten. Als Dankeschön fürs Wiederfinden … und für drei Minuten eines ganz außergewöhnlichen Musikerlebnisses.« So fing das an, so kam eins zum anderen. Zwei Tage später war er in der Nürnberger Straße und lernte Julian Fuhs und die anderen kennen; den Schlagzeuger Hersdorf, Lewitsch mit seiner Geige; Curtz und die übrigen Blechbläser. Die wechselnden Sängerinnen, gelegentliche Gitarristen, einen Bassisten. Echte Berliner Musiker, mit denen er als Bulle sonst wenig zu tun hatte.
    Seitdem hatte Sándor Lehmann immer wieder mal mit der »Follies Band« auf der Bühne gestanden, stets nur kurz für ein atemloses, nie wiederholtes oder auswendig gelerntes Solo bei einem oder zwei der Stücke – und Fuhs hatte auf Lehmanns ausdrücklichen Wunsch auf der Bühne nie den Namen des Musikers genannt und auch wohlwollend akzeptiert, dass Sándor sein ziemlich unverkennbares Gesicht hinter einem falschen Schnurrbart versteckte, der rot und so monströs groß war, dass er beim Spielen aufpassen musste, das struppige Ding nicht zwischen die filigranen Silberklappen der Klarinette zu bekommen. Die anderen Musiker kannten ihn nur beim Vornamen; Julian, der Fuchs, hatte beim Vorstellen einen klangvollen ungarischen Nachnamen hinzugedichtet, der so viele ö und j enthielt, dass die Jungs sich gar nicht erst die Mühe machten, ihn auswendig zu lernen. Der Bursche spielte Klarinette und machte ihnen ihren Job nicht streitig, das war alles, was sie wissen wollten in einer Zeit, in der es viel zu wenig Arbeit für viel zu viele Musiker gab. Der Tonfilm hatte in den Lichtspieltheatern die Orchestergräben geleert; das aufkommende Radio stand im Verdacht, nun den Schallplattenorchestern den Garaus zu machen. Arbeitslosigkeit grassierte, man unterbot sich bei den Gagen – wer da bei einem großen Namen wie Julian Fuhs engagiert war, konnte sich glücklich schätzen. Und solange keine anderen Anwärter da waren, gab es auch keine Probleme.
    Heute hatten die »Follies« – oder, wie Sándor die schweigsamen, aber keineswegs abstinenten Jazzhelden gern nannte, die »Vollis« – einen kleinen Auftritt in der eleganten Femina vor sich; deshalb fand die Probe gleich in voller Abendgarderobe statt. Die Bar auf der anderen Straßenseite gehörte praktischerweise Julians Mutter Hertha, die oben hinterm Tresen döste, und die »Follies« waren wie zu Hause hier. Julian Fuhs hielt sich auch gar nicht erst mit großen Begrüßungsfloskeln auf, als er die Stiege herabgestiegen war, sondern sagte nur lächelnd: »Ten Cents, Gentlemen« und schnippte den Takt mit den Fingern vor. Die Gentlemen hatten nur teilweise ihre Instrumente aus den Koffern geholt; zwei Blechbläser – Wilbur Curtz, gesucht und gebucht, gab sich mal wieder bei Julian die Ehre – schoben noch ein spektakulär ramponiertes Klavier aus einer Wandnische in die Raummitte, aber der Bassist war schon bereit und zupfte aufreizend langsam einen trägen Basslauf, der Fuhs’ Rhythmus glatt ignorierte und aus dem Foxtrott mehr Trott als Fox machte. Jetzt raschelte das Becken sein Messingflüstern über das dunkle Summen, das Tomtom nahm den Takt auf, beschleunigte ihn. Sándor hatte die Klarinette in der Hand, aber sein Solo war noch weit entfernt, und die Herren des Blechs inspizierten noch ihre Instrumente, als sähen sie die glänzenden Tuben und Klappen das allererste Mal.
    Da mischte sich plötzlich ein ganz anderer Takt in die aufblühende Jazzmusik: leichte Schritte auf der hölzernen Stiege. In der von oben beleuchteten Luke
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