Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom
Autoren: Martin Keune
Vom Netzwerk:
zweifarbiger Lackierung, cremeweiß und himmelblau – aufgetaucht war und das beschlagnahmte Gefährt entgeistert als sein Eigentum reklamiert hatte. Sándor war seelenruhig ausgestiegen, hatte den Wagen umrundet und sich unangenehm nah an den rotgesichtigen Wagenbesitzer gestellt. Er sprach mit gedämpfter, aber scharfer Stimme, und die Zornesadern auf der Stirn schwollen ihm an dabei.
    Â»Ihr Automobil? Mein lieber Scholli, stecken Sie nicht schon tief genug drin im Schlamassel? Wollen Sie jetzt noch aus lauter Blödheit eine Ermittlungsarbeit behindern, die oberste Reichsangelegenheit ist? Wenn Sie jetzt Krach schlagen – oder wenn Sie morgen früh auch nur einer Menschenseele ein Sterbenswörtchen von diesem Zusammentreffen sagen; und wenn’s der Polizeipräsident selber wäre –, dann können wir nichts mehr für Sie tun, dann sind Sie geliefert. Deshalb gehen Sie mir besser aus dem Blickfeld, bevor ich Sie an Ort und Stelle hopsnehme, Sie Fettsteiß, Sie!«
    Das wirkte immer, und das hatte auch diesmal gewirkt. Der Bankdirektor, Reitstallbesitzer, Generalbevollmächtigte oder was auch immer war das Anherrschen von Untertanen gewöhnt – aber selber angeherrscht zu werden hatte verheerende Auswirkungen auf sein Selbstwertgefühl. Der Mann hatte sich so schnell zusammengefaltet, wie er sich zuvor aufgeplustert hatte, etwas unverständlich Besänftigendes gemurmelt und war zurück ins Weinlokal gekrochen. Sándor hatte zufrieden gegrunzt; gegrunzt mit dem ganzen Selbstbewusstsein des passionierten Sportwagenfahrers, und auf der Havelchaussee hatte er der Kiste richtig die Sporen gegeben und um Haaresbreite einen Trupp Wildschweinfrischlinge zu Halbwaisen gemacht. Wildschweine und Bankdirektoren sollten ihm besser nicht in die Quere kommen auf seinem Weg die Havel entlang.
    Heute Abend parkte er den roten Ford A in der Nürnberger Straße, einer belebten Seitenstraße des Tauentziens, wo vor der Femina schon reger Andrang herrschte. Die protzige Femina! Der Schuppen hatte nach allerhand Turbulenzen wieder neu eröffnet, noch exaltierter und spektakulärer als zuvor, und war der luxuriös schillernde Diamant im Nachtleben der westlichen Vergnügungsmeile an Ku’damm und Wittenbergplatz. Allerdings zog es Sándor Lehmann noch nicht in den festlich illuminierten Eingang des modernen Tanzpalastes. Auf der anderen Straßenseite schimmerte, weit weniger pompös, eine Reihe kleiner Bars, von denen er eine betrat. Der Laden schien leer zu sein; hinterm Tresen döste die etwas aufgetakelte Wirtin mit Damenbart unter halb leeren Schnapsflaschen, die sich erwartungsvoll aufsetzte, ihn dann aber erkannte und mit einem freundlichen »’n Abend, Sándor« wieder in sich zusammensank. Sándor durchquerte den kleinen Raum und kletterte die schmale Bierträger-Stiege hinunter in ein alkoholisch riechendes Kellerloch, wo ein ganzes Sextett smokinggekleideter Männer auf Bierfässern hockte, umgeben von Koffern aus der gleichen schwarzen Pappe, aus der auch Sándors Klarinettenschachtel war.
    Â»â€™N Abend«, die Männer blickten kaum auf, begrüßten ihn halblaut, emotionslos, so wie vielleicht ein Sargträger von anderen Sargträgern begrüßt wurde. Lehmann wusste diesen Ton lässigen Understatements zu schätzen; sein Alltag unter den gedemütigten, zu Polizisten degradierten kaiserlichen Offizieren und Oberwichtigtuern war eine Welt des Imponiergehabes, des Balztanzes und Muskelspiels; hier so selbstverständlich und ohne Brimborium akzeptiert zu werden bedeutete ihm viel.
    Natürlich waren die Männer keine Sargträger, obwohl Dr. Joseph Goebbels, der oberste Krawallmacher Adolf Hitlers, für dessen Festsaalreden man inzwischen eine ganze Reichsmark Eintritt bezahlen musste, sie zweifellos so bezeichnet hätte – Sargträger der deutschen Musikkultur nämlich. Allerdings wurde der Sarg, den Goebbels mit flammendem Blick beschworen hätte, hier unten im Kneipenkeller mit erstaunlichem Schwung zu Grabe getragen, denn die Männer waren Musiker, Jazzmusiker. Nicht irgendwelche fahrlässigen Trompetenschwinger, sondern das begehrte und gut bezahlte Personal der »Julian Fuhs Follies Band«, einer der meistgebuchten Tanzkapellen der Stadt. Fuhs – der eben mit etwas ungelenken Bewegungen die Stiege heruntergekraxelt kam, ein kleiner Mann mit Glatze und einer runden
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher