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2:0 für Oma

2:0 für Oma

Titel: 2:0 für Oma
Autoren: Ilse Kleberger
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Die Völkerschlacht

    Jan riß so leise wie möglich die letzte Seite aus seinem Schulheft. Frau Schmitz, die vorne an der Tafel die neuen Rechenaufgaben erklärte, sollte es nicht hören. Er zerlegte das Papier sorgfältig in lauter schmale Streifen, rollte einen davon zusammen, kniffte ihn in der Mitte, feuchtete ihn mit Spucke an und zog ein Katapult aus der Tasche.
    Er spannte das Papier in das Gummiband zwischen den beiden Hölzchen, und gerade, als Frau Schmitz sagte: „Also — wie ihr seht, ist x gleich y plus a hoch 2“, zielte er auf den wuscheligen, schwarzhaarigen Hinterkopf drei Reihen schräg vor sich und schoß.
    Ein lauter Ausruf: „ Maledizione !“ ertönte.
    Die Schüler, die eifrig die Rechenaufgabe von der Tafel abschrieben, schauten hoch.
    Frau Schmitz fuhr herum: „Wer war denn das? Mario, du? Hast du die Aufgabe nicht verstanden? Aber dann frag doch auf deutsch . Wenn du in eine deutsche Schule gehst, mußt du deutsch sprechen. Also, sag, was dir nicht klar ist!“
    Der schwarzhaarige Junge rieb sich den Hinterkopf und antwortete nicht.
    „Also?“ fragte Frau Schmitz ungeduldig, aber als er nur finster vor sich hin starrte, zuckte sie mit den Schultern und wandte sich wieder der Tafel zu.
    Mario sah sich jetzt um und entdeckte mit einem Blick den Haufen von frisch gefalteten Papierstreifen auf Jans Tisch. Seine dunklen Augen blitzten, und er drohte Jan mit der Faust.
    Es klingelte zur Pause. Die Kinder sprangen aus den Bänken und drängten hinaus. Mario und Jan vermieden es, an der Tür zusammenzutreffen. Auf dem Hof lief Mario in eine abgelegene Ecke, wo sich die Gastarbeiterkinder trafen. Er stand dort bald in einem Kreis gestikulierender Jungen und Mädchen, stampfte wütend mit dem Fuß auf und erzählte.
    „ Maledizione !“ rief er wieder und wieder. Das heißt auf italienisch ungefähr: „Verdammt noch mal!“ Die anderen Kinder riefen und schrien auch. Sie scharten sich enger zusammen und blickten zu Jan und seinen Klassenkameraden hinüber, die taten, als ob sie nichts von dem Aufruhr in der Hofecke bemerkten.

    Das Scheppern der Schulglocke zeigte an, daß die Pause zu Ende war. Jan wollte mit einem Satz die Stufen zur Hoftür hinaufspringen, aber er stolperte und fiel hin, weil ihn von hinten jemand am Bein festhielt. Er rappelte sich hoch und sah gerade noch, wie ein Mädchen mit schwarzen Zöpfen eilig in einer Klasse verschwand.
    „Na wartet“, murmelte er, „wartet nur, euch werde ich’s schon zeigen!“
    „Jan!“ Sein jüngerer Bruder Peter zupfte ihn am Ärmel. „Du, ich habe gesehn , wer das war — eins von den Spaghetti-Mädchen, die, deren Bruder in deiner Klasse ist!“ Peter blickte empört zu Jan auf. „Diese dämliche Ziege hat dich am Bein gepackt und gezogen. Echt gemein!“
    Jan war es peinlich, daß er sich von einem Mädchen hatte zu Fall bringen lassen. „Na und? Halb so schlimm! Der werd ich’s schon zeigen, der und ihrem blöden Bruder und den anderen.“
    Peter hüpfte aufgeregt von einem Bein auf das andere: „Au ja, dufte, da mach ich mit — wir wollen die ganz doll verkloppen!“
    Jan nickte gnädig. „Gut, heute nachmittag , ich weiß, wo sie immer spielen.“ Er gab seinem Bruder einen nachlässigen Klaps auf die Schulter und verschwand in seiner Klasse.
    Peter fühlte sich wie nach einem Ritterschlag. Es war selten, daß sein großer Bruder ihn zu seinen Unternehmungen heranzog. Jan wußte, warum er das tat. Die Italienerfamilie hatte viele Kinder, sechs oder acht, und viele Freunde. Allein würde er gegen sie nichts ausrichten können, da brauchte er dringend Hilfe.
    Am frühen Nachmittag radelte deshalb eine ganze Gruppe auf das Wäldchen am Stadtrand zu, voran der dreizehnjährige Jan Pieselang auf seinem neuen, chromblitzenden Rennrad, das er sich mit Zeitungenaustragen verdient hatte. Hinter ihm kam der zehnjährige Peter, der den Rücken des Bruders scharf beobachtete, um möglichst die gleichen sportlichen Bewegungen wie der ältere beim Radfahren zu machen. In einigem Abstand trat auf einem altmodischen Damenrad Brigitte, die zwölfjährige Schwester der beiden, kräftig in die Pedale. Sie hatte an einem Lederriemen einen Puppenkoffer über der Schulter hängen, der mit einem roten Kreuz geziert war. Auf ihrem Gepäckträger schlenkerte das jüngste der Geschwister, der sechsjährige Rolf, einen Sheriffhut schief auf den blonden Locken, eine Leinentasche umgehängt, in der sich hauptsächlich Bonbons befanden. Den
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