Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom
Autoren: Martin Keune
Vom Netzwerk:
Wiedererkennbarkeit! – niemals einen Einkauf bei einem Gasbombenbauer absolviert hätte. Doch genau um diese Wiedererkennbarkeit war es dem Täter gegangen; der Zeuge Robert Schreyer sollte offenbar gezielt dem Klarinettenspieler der Follies die Tat anhängen, damit der festgenommen, nein: bei der Festnahme erschossen werden konnte und so von dem wirklichen, tatsächlichen Täter abgelenkt wurde – von Belfort selbst, dem Gasmörder Belfort, Belfort, der diesen teuflischen Plan ausgeheckt und dabei nur einen einzigen Fehler gemacht hatte: dass er bei der Vernehmung von Schreyer selbst eingegriffen, von einer »Gasbombe im Klarinettenformat« gesprochen hatte. An der blasierten Milchbübchen-Stimme und dieser sonderbar gewählten Formulierung – hatte er nicht eben wieder von »Klarinettenformat« gesprochen? – hatte Schreyer ihn als seinen eigentlichen Käufer erkannt; Sándor erinnerte sich noch gut an sein panisches Erschrecken, als Belfort aus dem Schatten heraus plötzlich mit der Stimme des Mörders gesprochen hatte, als Schreyer sich ge rade dessen Gesicht vor Augen gerufen hatte. Belfort, ja, verdammt: Belfort selbst hatte bei Schreyer die zwei Gasbomben gekauft und dabei einen roten Schnurrbart getragen.
    Die langsamen Bewegungen der Umgebung kamen vollends zum Stillstand. Es machte »klick«, und Sándor wusste. Alles. Auch, dass Belfort für seinen Schuss keinen Anlass brauchen würde, dass der Schuss logischer Teil des Plans war, unabwendbar noch in dieser Sekunde.
    Zwischen dem »klick« – dem kleinen Geräusch des Hahns, der den Zünder der Patrone traf – und dem großen Geräusch des Schusses verging extrem wenig Zeit. Selbst in Sándors nahezu zeitlosem Universum passte gerade mal das Wort »Arschloch« hinein.
    Dann lagen sie allesamt auf dem Boden; Sándor, der sich viel zu spät mit einem Hechtsprung aus der Schusslinie hatte bringen wollen; Jenitzky, der sich im Augenblick des Schusses wütend auf Sándor hatte werfen wollen, ins Leere gegriffen und stattdessen Belfort umgerissen hatte; und Belfort selbst, dessen Schuss ohne Schaden in den Berliner Himmel pfiff. Auch Hansen, Schmitzke und Plötz hatten sich im Halbdunkel auf das Menschenknäuel geworfen, und Sándor beeilte sich, als Erster wieder auf den Beinen zu sein, bevor Belfort ein zweites Mal feuern würde. Er fetzte sich den Bart von der Oberlippe und riss sich einen blutigen Fetzen Haut dabei ab (verdammtes Sparadrap!) und schrie: »Nicht schießen, ich bin’s, Sándor Lehmann! Hansen, Schmitzke, ihr Deppen, wollt ihr euern Chef umbringen?«
    Belfort hatte, auf dem Boden liegend, die Waffe schon wieder im Anschlag, aber Sándor war schneller und trat sie dem anderen mit einer solchen Wucht aus der Hand, dass der fluchend aufjaulte. Jetzt hatte auch Schmitzke eine elektrische Laterne aufgeblendet, lobenswerte Ausstattung des Mordautos, und die Schutzleute staunten nicht schlecht, dass es wirklich ihre beiden Vorgesetzten waren, die hier auf dem Gehweg in der Taubenstraße um Leben und Tod kämpften.
    Sicherheitshalber trennten sie die beiden Kämpfenden und hielten sie fest, und Jenitzky, der jeden Überblick verloren hatte, half ihnen dabei.
    So standen sie sich also zuletzt hier vor Jenitzkys Tanzpalast doch noch als Feinde gegenüber, Sándor Lehmann, der Bulle aus dem Wedding, und sein unliebsamer Kollege Belfort, der Jazzmusikhasser, der Judenhasser, der Gasmörder.
    Â»Belfort«, Sándors Stimme war heiser, als müsste er nach dem Stillstehen der Zeit erst wieder lernen, in normalem Tempo zu sprechen, »es ist aus. Sie haben die Gasbombe in der Femina explo dieren lassen, Sie haben Hallstein getötet, und Sie wollten heute Abend das Café Jenitzky unter Gas setzen. Sie wollten die Tat einem Unschuldigen anhängen und ihn töten; nur wussten Sie nicht, dass ICH selbst dieser Klarinettenspieler war; dass ich nur auf der Bühne einen Schnurrbart trage – aber nicht im Leben.«
    Der dicke Plötz, dem diese Eröffnungen zu schnell gingen, fragte Sándor verwirrt:
    Â»Chef?« Und mit einem Seitenblick auf seinen zweiten Chef Belfort: »… ich meine, ähm, Herr Lehmann, sind Sie eben auf die Steine geknallt? Ich meine – mit dem Kopf?«
    Sándor nickte.
    Â»Ja, bin ich. Aber kleine Schläge auf den Hinterkopf erhöhen ja bekanntlich das Denkvermögen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher