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0053 - Die Geisterhand

0053 - Die Geisterhand

Titel: 0053 - Die Geisterhand
Autoren: Jason Dark
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Allmählich wurde es dunkler. Es war wie im Kino, kurz vor dem Film. Spannung und Nervenfieber hatten den kleinen Kreis der Auserwählten ergriffen. Denn sie warteten auf ihn – auf den Meister.
    Dunkelheit.
    Stille.
    Nur hier und da ein unterdrücktes Hüsteln, ein schwerer Atemzug. Der kleine Theaterraum war bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Luft war schlecht. Zu wenig Sauerstoff, dafür Parfümwolken, die unsichtbar unter der stuckverzierten Decke schwebten.
    In den vorderen Reihen war es ein wenig kühler. Hin und wieder fächerte dort ein Luftzug vorbei.
    Im Orchestergraben stand niemand. Denn derjenige, der heute auftrat, brauchte keine untermalende Begleitung. Er war Künstler genug.
    Künstler? Nein, seine Anhänger bezeichneten ihn als Genie, als absoluten Top-Star, als jemand, dem niemand zuvor das Wasser reichen konnte.
    Der schwarze Vorhang war mehr zu ahnen als zu sehen. Wenn an ihm der Luftzug vorbeistrich, bewegten sich die Stoffwellen wie bei einem Meer.
    Der Meister ließ sich Zeit.
    Die Spannung wuchs.
    Flüstern. Dann eine zischende Stimme: »Ruhe! Sie verderben ja alles!«
    Das Flüstern verstummte.
    Wann endlich trat der Meister auf?
    Da! Der Vorhang raschelte. Deutlich war es zu hören. Dann fuhren die beiden Hälften auseinander.
    Zwei Punktstrahler durchschnitten die Dunkelheit. Ihr Ziel befand sich auf der Bühne und riß zwei in weißen Handschuhen steckende Hände aus der tintigen Schwärze.
    Zehn Finger!
    Finger, die sich bewegten, die kreisten, zeigten, aufforderten, und die dem Willen eines dämonischen Befehlshabers folgten.
    Die Hände glitten in die Höhe, die Spotlights folgten, begleiteten sie, ließen sie nicht einen Augenblick los und machten das Spiel der Finger zu einer wahrhaft faszinierenden Schau.
    Zwei Hände!
    Teufelshände? Normale Hände? Hände eines Genies – oder alles zusammen…?
    Ein Tusch!
    Laut hallte er durch das kleine Theater. Die Zuschauer zuckten zusammen.
    Lichterflut. Urplötzlich, übergangslos. Sie riß die Bühne aus der anonymen Schwärze, fast explosionsartig und schockierend.
    Im Mittelpunkt stand der Meister.
    Strahlend, lächelnd, sich seines Sieges und der Ovationen jetzt schon bewußt.
    Beifall brandete auf. Die Zuschauer sprangen hoch, klatschten und trampelten mit den Füßen. Beifall und Trampeln steigerte sich zu einem wahren Orkan, der gegen die Decke des kleinen Theaters stieg.
    Der Meister wußte, daß er gern gehört wurde. Sein Name war weltbekannt. Er war es, der die Herzen der Musikliebhaber hatte höher schlagen lassen. Ein Meister auf dem Klavier, ein Tasten-Virtuose, der Mann mit den Wunderhänden.
    So hatte man ihn genannt.
    Ihn – Antonio Scaramanga!
    In Siegerpose stellte er sich auf und ließ den Beifall an sich vorüberrauschen. Die Arme hatte er hochgestreckt und die Hände über seinem Kopf zusammengelegt. Ein strahlendes Siegerlächeln zeichnete sein asketisch schmales Gesicht, doch die Augen erreichte das Lächeln nicht. Sie blieben kalt, wie dunkle Murmeln, die ihm jemand in die Augenhöhlen gesetzt hatte.
    Doch das bemerkte keiner der Anwesenden. Denn die, die gekommen waren, glaubten an ihn. Sie wollten ihn sehen und spielen hören. Sie waren ihm hörig.
    Der Dämon am Flügel, so hatte ihn einmal eine Zeitung genannt. Und das war nicht übertrieben, denn wenn er spielte, drang seine Musik in die Seelen der Menschen ein und verzauberte sie.
    Schon als Kind erhielt er den Beinamen ›der Wunderknabe‹. Das Klavierspielen war ihm mit in die Wiege gelegt worden. Er brauchte keinen Lehrer, er setzte sich hin und spielte.
    Er gab Konzerte in allen Hauptstädten Europas. Als Zwanzigjähriger erlebte er den Ausbruch des Krieges mit und verschwand in der Versenkung.
    Niemand wußte, wo er geblieben war. Nach dem Krieg tauchte er hier und dort wieder auf. Aber er trat nie mehr in öffentlichen Konzerten auf. Wenn er sich an den Flügel setzte, dann sammelte er einen kleinen Kreis Zuhörer um sich und berauschte sie mit seiner Musik.
    Antonio Scaramanga war da und verschwand ebenso rasch.
    Keiner wußte, wo er wohnte. Bis auf einen ständigen Begleiter hatte er keinen Freund.
    Sein Diener, Leibwächter und Sekretär war ein Türke, taub von Geburt an und dem Meister absolut ergeben. Er begleitete ihn auf jedem Konzert.
    Langsam verebbte der Beifall.
    Der Meister trat zurück und gab ein Zeichen. Der große Lichtkreis wanderte weiter, bis er auf einem schwarzglänzenden Flügel hängenblieb.
    Der Deckel war hochgeklappt.
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