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165 - Am heiligen Berg

165 - Am heiligen Berg

Titel: 165 - Am heiligen Berg
Autoren: Stephanie Seidel
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Zweige fort.
    Vögel flatterten aufgeregt herum. Aruula beachtete sie nicht.
    Da war ein Höllenlärm in der Luft, Waffenklirren und Gebrüll. Die Cinnesen skandierten »Ti-an-Lung! Ti-an-Lung!«, und die Ti'baitis sangen ihr monotones omm mani-mun.
    Wenigstens leben sie noch, dachte Aruula erleichtert – und lachte unter Tränen, als sie den Vorplatz erreichte. Tandra Meeru hatte ihren Rat befolgt! Überall, an jedem Fenster, jeder Tür und entlang der Randmauer von Shi'gana standen Mönche und Pilger dicht gedrängt. Alle hielten etwas in der Hand, das nach Waffen aussehen sollte.
    Aruula kämpfte sich an Schöpfkellen, Besen und Holzlöffeln vorbei zur Treppe und sah hinunter. Am Fuß des Hügels kroch eine schwarze Masse herum. Bewaffnete Cinnesen, die zwischen den Felsentaschen nach einer Möglichkeit des Aufstiegs suchten. Einige wagten sich schon auf die Treppe.
    Wir sind verloren, wenn sie es nach oben schaffen! Aruula wandte sich hastig ab und begann zu suchen.
    »Yinjo!«, rief sie durch den Lärm. »Yinjo!«
    Sie fand den Jungen an einer Steinsäule auf dem Vorplatz. Yinjo hockte am Boden, die Arme um seine Knie geschlungen. Er blickte der Barbarin schmollend entgegen.
    »Die Mönche haben gesagt, ich dürfte nichts tun«, maulte er. »Doch, das darfst du!« Aruula griff nach ihm. Energisch zwängte sie sich durch die Menge – schnell, nur schnell! – und zerrte den Jungen hinter sich her. Als sie den Rand des Vorplatzes erreichte, packte sie Yinjo und hob ihn schwungvoll auf die Mauer.
    Aruula zeigte nach unten. »Siehst du das Ding da in dem Felsenloch? Das Große mit den kaputten Flügeln, das so aussieht wie ein Bellit ( eine Riesenlibelle )?«
    Yinjo sah sie zweifelnd an. »Ich weiß nicht, was ein Bellit ist.«
    »Egal.« Aruula schlang ihre Arme um den Jungen, damit er nicht fiel, und sagte gehetzt: »Heb es hoch, Yinjo! So hoch du kannst! Bis in den Himmel!«
    »Ist gut!« Der schmale Kinderkörper wurde starr. Aruula hielt ihn fest und versuchte zu lauschen, zu helfen, Yinjos Gedanken irgendwie abzuschirmen. Er durfte jetzt nicht gestört werden. So viele Menschenleben hingen von seiner besonderen Fähigkeit ab.
    So viele.
    In der immerwährenden, eisigen Dunkelheit der Felsentasche stand ein Militärhubschrauber. Er war vor fünfhundert Jahren gestartet, um den amerikanischen Ölmagnaten George T. Mullock zum heiligen Berg Kailash zu fliegen. Mullock war noch an Bord, ebenso wie sein Sicherheitsbeamter Hu Zhang. Man hatte die Maschine nie gefunden. Heute ging ihre Reise zu Ende.
    Der Lärm, das Waffengeklirr und die Gebete der Mönche verhallten, als das Wrack aus den Felsen kam. Metall kreischte an Gestein entlang. Flügel, die härter waren als alles Bekannte, krachten und barsten und platzten ab. Zoll um Zoll hob sich ein riesiges Wesen in die Luft. Die Ti'baitis hatten von seiner Existenz gewusst, dennoch waren sie entsetzt.
    Ungleich weniger als die Cinnesen.
    Für sie musste es aussehen, als käme ein Höllendämon aus dem Hügel. Er starrte sie beim Hochschweben aus leeren Augen an. Immer wieder fielen einzelne Teile von ihm ab und sprangen in weiten Sätzen den Hügel herunter. Ki Ling schrie auf, als ihm ein menschlicher Schädel vor die Füße rollte.
    Der Hubschrauber erreichte die Klostertürme – und seine letzten intakten Scheiben gerieten ins Licht der Sonne.
    Angstvolles Raunen zog durch das Heer, als die Augen des Höllendämons zu glühen begannen. Längst war kein Cinnese mehr auf dem Hügel. Die Tschinnaks, die die Flanken sichern sollten, wendeten ihre Pferde und machten sich davon.
    Ki Ling entdeckte einen Jungen auf der Klostermauer.
    Eine Frau hielt ihn fest. Der Himmlische Hüter fragte sich gerade, ob das Kind vielleicht ein Menschenopfer war für den schwebenden Dämon, da trat ein Mönch zu den beiden.
    Er schüttelte den Jungen – und die Hölle brach los.
    »Gib ihn her, Aruula! Er stirbt, siehst du das nicht?« Tandra Meeru zerrte Yinjo von der Mauer. Der Junge war weiß wie ein Laken. Er zitterte am ganzen Leib, kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn, und seine Haut schimmerte dünn wie die eines alten Mannes. Nur mühsam öffnete er die Augen.
    Der Hubschrauber fiel mit Donnergetöse auf die Felskanten, rollte herum und begann einen infernalischen Sturz hügelabwärts. Da waren schrille Geräusche; Metall brach ab und sprang davon. Die Scheiben zerklirrten. Teile der Außenverkleidung segelten wie messerscharfe Frisbeescheiben über die Köpfe der Cinnesen
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