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165 - Am heiligen Berg

165 - Am heiligen Berg

Titel: 165 - Am heiligen Berg
Autoren: Stephanie Seidel
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knurrte. Tandra Meeru zeigte auf eine Baumreihe, deren Äste von Beerenschnüren umwachsen waren. An den Enden der Zweige schaukelten Nester im Wind, etwa so groß wie ein Kinderkopf.
    »Da sind sie!«, sagte Tandra Meeru beinahe feierlich. »Die Seidentänzer.«
    Vögel kamen im Tiefflug heran – die gleichen, die Aruula schon oben auf den Grasflächen und dem Vorplatz bemerkt hatte. Diesmal sah sie genauer hin. Es waren schöne Tiere in schillerndem Eisvogelblau, mit weißen Zierfedern an Kopf und Schwanz Ihr Gesang erinnerte an fernes Glockenspiel, und wenn sie sich im Flug begrüßten, sah es aus, als würden sie tanzen.
    Das eigentlich Besondere aber waren ihre Nester.
    Seidentänzer lebten, wie Aruula erfuhr, nur auf einer einzigen Baumart, dem gou'kan, der äußerst selten war.
    Seine Beeren setzten einen chemischen Prozess in Gang, der das Drüsensekret der Tiere in eine Art Flüssigseide umwandelte. Sie bauten fast identische Nester wie ihre Vorfahren, die Webervögel, allerdings nicht aus Halmen, sondern aus dem klebrigen Faden, der an der Unterseite ihrer Schnäbel produziert wurde. Ähnlich wie Spinnen fertigten sie daraus einen Kokon. Er wurde um gabelförmige Zweigenden gewickelt und mit Gras ausstaffiert.
    »Wir kochen ihre Nester in Yakkbutter und vergorenen gou'kan-Beeren ab«, erklärte Tandra Meeru. »So erhält man einen glänzenden, festen Faden. Der wird abgerollt, gereinigt und zu sanshi verarbeitet.«
    »Wie vermehren sich die Vögel ohne Nester?«, fragte Aruula vorwurfsvoll.
    Tandra Meeru lächelte. »Wir gehen sehr behutsam vor! Seidentänzer bauen ein zweites Nest, wenn man frühzeitig erntet. Wir achten aber auch darauf, dass nur starke Tiere diese Mehrarbeit leisten müssen.«
    »Das heißt, ihr könntet eigentlich die doppelte oder sogar dreifache Menge sanshi herstellen?«, fragte Aruula mit Blick auf die zierlichen Tänzer mit ihren Glockenstimmen. Sie waren wirklich sehr hübsch.
    »Für kurze Zeit bestimmt. Aber dann wäre dieses Tal verwaist«, sagte Tandra Meeru. Hinter ihm kam ein Mönch angelaufen.
    »Ich schätze, das ist den Tschinnaks egal.« Aruulas Augen wurden schmal, als der Mönch stehen blieb. Aufgeregt und außer Atem sprach er auf Tandra Meeru ein. Die Barbarin verstand seine Sprache nicht, doch es war ja klar, was er zu sagen hatte: Die Schwarzvermummten standen vor dem Kloster. Es war auch klar, warum.
    Aruula warf einen letzten Blick auf die Seidentänzer in ihrer versteckten grünen Zuflucht. Sie dachte an Yinjo und die freundlichen Ti'baitis mit ihrem verrückten, aber liebenswerten Glauben an wiedergeborene Pilze. Dann machte sich die Kriegerin vom Volk der Dreizehn Inseln auf, ihr Schwert zu holen.
    »Lasst mich durch! Geht bei Seite!«, forderte Aruula, während sie sich mühsam ihren Weg über den Vorplatz bahnte. Zwischen den Säulen der Rundbogen wimmelte es von aufgeregten Mönchen und Pilgern, die alle versuchten, weiter nach vorn zu kommen.
    »Na los! So sehenswert sind die Kerle nun auch wieder nicht!« Aruula schaffte es, sich bis zur Randmauer durch den Pulk zu zwängen. Sie blinzelte in die tief stehende Sonne.
    Morgen um diese Zeit wird ihr Licht den Berg treffen!, dachte die Barbarin. Dann bin ich endlich am Ziel: Ich werde den flammenden Felsen sehen! Da kommen mir keine Tschinnaks dazwischen!
    Das taten sie auch nicht.
    »Wo sind sie?«, fragte Aruula verblüfft. Der Blick in die Tiefe enthüllte ein friedliches Bild: die Treppe, der Pfad, der Daa'murenkristall und die fliegende Maschine im Felsengrab – alles war still und verlassen. Am Fuß des Hügels wuchs Hochlandgras, dahinter lag ein großes Nichts aus Fels und Gestein. Was also erregte die Ti'baitis so?
    »Dort drüben!«, sagte Tandra Meeru, als er Aruula erreichte, und streckte die Hand aus. Die Barbarin folgte dem Fingerzeig, und ihr Herz sank. Am Rand der Ebene, in weiter Ferne, war eine Reihe schwarzer Punkte aufgetaucht.
    Sie bewegten sich. Hinter der ersten Reihe erschien eine zweite, dann eine dritte.
    Aruula wandte sich dem Mönch zu. »Das sieht nicht gut aus!«, sagte sie ernst. »Da hinten kommt eine Armee heran!«
    ***
    »Wo, bei allen schwarzen Drachen, ist denn nun der Feind?«
    Ki Ling ließ die Hand herunterfallen und trommelte gereizt auf der Lehne seiner Sänfte herum. Der Himmlische Hüter war zu fett geworden zum Reiten. Man musste ihn tragen, und das war kein Vergnügen für ihn, denn alle paar Meilen brach einer der Männer zusammen und stand nicht mehr auf.Ki
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