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165 - Am heiligen Berg

165 - Am heiligen Berg

Titel: 165 - Am heiligen Berg
Autoren: Stephanie Seidel
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Kummer überdeckte fast die Bauchschmerzen, die ihn quälten, seit sich diese Bauern am Stadtrand versammelten. Es wurden immer mehr, und man hörte ihr Geschrei schon bis in den Thronsaal. Die Alten riefen nach dem Schutz des Hüters, die Jungen forderten seinen Kopf. Noch hielten sich beide Parteien die Waage, aber die Stimmung war aufgeheizt und konnte jederzeit außer Kontrolle geraten.
    Es gibt so viele Menschen in meinem Land – warum muss ausgerechnet ich leiden?, haderte Ki Ling, während er unruhig im Thronsaal auf und ab ging. Sein Kaiserlicher Berater folgte ihm wie ein Schatten. Ich will nur in Ruhe und ohne Sorgen leben! Ist das zu viel verlangt? Können die Bauern nicht einfach nach Hause gehen und für mich arbeiten? Und warum ist Quong Ho nicht zurückgekehrt? Er sollte mir den schönen Stoff bringen! Mein sanshi! Mein geliebtes sanshi!
    Nicht einmal das ist mir vergönnt!
    Der Kaiser seufzte unglücklich. Nichts hatte funktioniert in diesem Jahr der Dämonen, wirklich gar nichts! Erst hatte ein böser Geist die Stadt heimgesucht und fast ein Drittel der Bevölkerung getötet. Dann hatten die Perlenfischer gestreikt, und Ki Ling war gezwungen gewesen, sie an den Drachen zu verfüttern. Unglücklicherweise hatte er nicht bedacht, dass der Marktmonat bevorstand. So konnten die Cinnesen außer chang-duu nicht viel anbieten, und weil das Opium von den Roten Hängen kam, die Quong Hos Familie gehörten, blieb die Staatskasse leer.
    Ki Ling suchte danach händeringend eine neue Einnahmequelle – und der Kaiserliche Berater hatte die passende Idee: Im Frühsommer, kurz vor der ersten Mohnernte, wurden die Roten Hänge beschlagnahmt. Die Besitzer sollten fortan für den Kaiser arbeiten und eine eigene Handelsverbindung nach Induu aufbauen. Pferde hatten sie ja genug, dank Quong Hos Zucht auf den westlichen Ländereien.
    Das Ganze war ein guter Plan. Er scheiterte daran, dass die Quong Ho-Familie einen Tag nach der Konfiszierung spurlos verschwand.
    »Majestät! Majestät!« Die Stimme des Kaiserlichen Beraters riss Ki Ling aus seinen Gedanken. Von der Straße scholl Lärm herauf; Schwerterklirren und das rhythmische, dumpfe Geräusch schwerer Stiefel. Die Bauern kamen!
    »Was mach ich nur? Was soll ich tun?«, rief Ki Ling. Panik stand in seinen Augen, als er sich so hastig wie nutzlos nach einer Fluchtmöglichkeit umsah.
    »Du bist der Himmlische Hüter, Majestät – tritt ans Fenster und sprich zu ihnen«, sagte der Kaiserliche Berater.
    Ki Ling funkelte ihn an. »Noch so eine Bemerkung, und ich lasse dir den Kopf abschlagen, Ping!«
    Der Cinnese schob seine Hände in die weiten Ärmel seines Gewandes und wartete geduldig, während Ki Ling zum Fenster ging, hinaus spähte und gleich wieder zurückkam.
    »Sind die Eingänge des Palastes gesichert?«, fragte er gehetzt.
    Ping nickte. »Selbstverständlich, Majestät. Die Tschinnaks lassen niemanden herein.«
    Ki Ling verspürte plötzlich das Bedürfnis, den Kaiserlichen Berater zu erwürgen. Was dachte sich der Kerl, in aller Ruhe da zu stehen, als ginge es um das Wetter und nicht um den möglichen Tod seines Herrn?
    »Ich kann nicht mit ihnen reden!«, sagte Ki Ling gereizt.
    »Hör dir an, was sie rufen! Sie wollen, dass der Himmlische Hüter die Dämonen vertreibt, die das Wetter verhexen.«
    Ping zog die Schultern hoch. »Sag ihnen, dass du es tun wirst.«
    Ki Ling stutzte. »Ich… ich kann das doch gar nicht!«
    »Das weißt du. Aber sie wissen es nicht.« Ping zeigte Richtung Fenster. »Diese Männer hatten einen langen Weg, Majestät. Sie sind erschöpft, und sie frieren. Sag ihnen, dass ihr Herrscher alles in Ordnung bringen wird, und sie verschwinden wieder in die Provinzen.«
    Ki Ling winkte ab. »Die werden mir nicht glauben! Es ist so viel schief gegangen in diesem Jahr! Dafür geben sie mir die Schuld!«
    »Dann gib sie weiter, Majestät«, sagte Ping ruhig.
    Ki Ling runzelte die Stirn. Weitergeben? Plötzlich erhellte sich seine Miene. »Das ist eine sehr gute Idee, Ping! Hinaus mit dir aus dem Palast! Erzähl den Bauern, dass du allein der Schuldige bist.« Er legte seinem Kaiserlichen Berater einen Arm um die Schultern und sagte gerührt: »Ich werde dich vermissen.«
    »Ich gehöre zum Hofstaat, Majestät«, erinnerte ihn Ping.
    »Richtig! Wir alle werden dich vermissen!«
    »Das meinte ich nicht.« Ping schüttelte den Kopf. »Ich bin wegen meiner Nähe zu dir als Opfer für die Bauern ungeeignet. Sie könnten denken, es gäbe im Palast
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