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165 - Am heiligen Berg

165 - Am heiligen Berg

Titel: 165 - Am heiligen Berg
Autoren: Stephanie Seidel
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echote das Volk. Es hatte vergessen, dass es hergekommen war, um einen Despoten zur Rechenschaft zu ziehen. Es fragte auch nicht, wer dieser Feind war, von dem man zuvor noch nie gehört hatte – und wie Ki Ling ihn eigentlich besiegen wollte. Die teuflische Rede hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Das taten teuflische Reden nie.
    Quong Ho zwängte sich durch die jubelnde Menge und machte, dass er fort kam.
    ***
    Mai 2522
    Die Pilger von Shi'gana empfanden Aruulas Verfolgungsjagd als unangenehm. Frauen hatten an einem Ort der Verehrung nichts zu suchen, und erst recht rannten sie nicht hinter einem Mann her. Deshalb ging niemand zur Seite, da konnte die Barbarin fluchen, so viel sie wollte.
    »Verdammt! Warum tue ich mir das eigentlich an?«, keuchte Aruula wütend. Der Mann rannte wie ein Hase übers Gras – zwischen all den Leuten hindurch. Keiner hielt ihn auf. Auch Tandra Meeru nicht. Oben am Kloster schauten Mönche so interessiert wie tatenlos über die Randmauer. Aruula hätte sie am liebsten erwürgt.
    Stattdessen zeigte sie auf den Flüchtigen und brüllte:
    »Tschinnak!«
    Das wirkte, und zwar gleich doppelt.
    Die Pilger wichen zurück. Der Mann fuhr herum, blieb stehen und durchwühlte hastig seine Kleidung.
    »Na, großartig!«, sagte Aruula halblaut, als ein Dolch aufblitzte. Sie sah sich nach Hilfe um, doch da war keine.
    Nicht einmal ein Stein. Nur fromme Pilger, die nichts unternahmen, weil sie jede Lebensform achteten. Das nächste Mal kommt ihr als Yakk-Dung zur Welt, dachte die Barbarin erbost.
    Dann sah sie den Jungen. Klein und schmal stand er zwischen den Mönchen am Mauerrand und blickte zu ihr herüber.
    Der Tschinnak griff an. Aruula sprang zur Seite. »Yinjo!«, schrie sie und machte ein Zeichen mit beiden Armen. »Heb ihn hoch!«
    Yinjo nickte still. Der Junge mit den ungewöhnlichen telekinetischen Fähigkeiten schloss die Augen und erstarrte.
    Im nächsten Moment hob eine unsichtbare Macht Aruulas Angreifer vom Boden – zwei, drei Meter hoch und mit einer Leichtigkeit, als wäre er aus Papier. Der Mann begann zu kreischen. Er ließ den Dolch fallen und strampelte panisch.
    Aruula hechtete nach vorn, packte die Klinge und holte weit aus. »Nein!«, sagte Tandra Meeru hart. Er vertrat ihr den Weg.
    »Nein!«
    Dann wandte er sich um und rief: »Yinjo! Hör auf damit!«
    Der Tschinnak fiel zu Boden, rappelte sich hoch und rannte stolpernd davon. Unbehelligt erreichte er den Pfad hinunter zur Ebene. Dort hielt er an, schüttelte die Faust und rief etwas. Gleich darauf war er fort.
    Aruula kochte vor Zorn. Sie ging zu Tandra Meeru und schlug ihm vor die Brust. »Verflucht! Warum hast du ihn laufen lassen?«
    »Dies ist ein heiliger Ort«, sagte der Mönch freundlich, aber bestimmt. »Man darf ihn nicht mit Blut besudeln. Sonst ist alles verloren, was wir zu erhalten versuchen.«
    »Oh, ich weiß schon: das Gute! Seid nett zueinander und tretet bloß nicht auf einen Pilz!« Es interessierte Aruula nicht, dass Tandra Meeru verständnislos die Stirn runzelte; sie packte ihn am Hemd und schüttelte ihn wütend. »Soll ich dir sagen, was den Unterschied ausmacht zwischen nett sein und blöd sein? Der Zeitpunkt! Wenn jemand durch dein Kloster schleicht, der dort nichts zu suchen hat, dann lässt du ihn verdammt noch mal nicht laufen!«
    Aruulas Atem flog, und ihre Augen funkelten. Tandra Meeru hatte ihre Handgelenke ergriffen. Sanft und ohne Druck zog er sie von seinem malträtierten Hemd fort.
    »Es ist unsere Art, Aruula«, sagte er ruhig. »Wir töten nicht. Wir vergeben lieber. Das ist der bessere Weg.«
    »Ja – in den Tod!«, knurrte Aruula und herrschte den Mönch an: »Der Tschinnak war nicht zum Spaß hier! Er hat etwas gesucht. Was könnte das sein?«
    Tandra Meeru zögerte. Er wollte nicht antworten, doch als die schöne Barbarin erneut nach seinem Hemd griff, gab er das Geheimnis preis.
    ***
    »Vögel?« Aruula konnte es nicht fassen. »Die Kerle sind nach Ti'bai gekommen, um Vögel zu fangen?«
    »Hier entlang.« Tandra Meeru schob ein Gewirr aus hängenden Zweigen zur Seite. Dahinter begann der Weg in ein verstecktes Tal an der Ostseite des Hügels. Es war durch einen Meteoriteneinschlag entstanden, und vielleicht hatte der Stein aus dem All etwas mitgebracht… denn die Vegetation war seltsam!
    Da waren großblättrige Pflanzen, die von allein auswichen, als Aruula näher kam. Lange schmale Blüten spuckten gelegentlich eine Salve Körner durch die Gegend, und das Moos am Boden
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