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008 - Das Geisterhaus

008 - Das Geisterhaus

Titel: 008 - Das Geisterhaus
Autoren: A.F.Morland
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Harry Wayne war ein gottesfürchtiger Mann, offen, ehrlich, hilfsbereit. Er hatte nur einen einzigen Fehler: Er trank zu gern. An manchen Freitagen konnte es passieren, daß er schon am frühen Nachmittag blau war. Daran war seiner Ansicht nach die Firma schuld, in der er arbeitete, denn die machte freitags früher Feierabend als an den anderen Wochentagen, und auf irgendeine Weise mußte Harry Wayne schließlich das beginnende Wochenende, das ihm immer sehr willkommen war, feiern.
    Er war Tischler.
    Sargtischler, sagten diejenigen, die ihn hänseln wollten. Natürlich hatte er auch schon Särge gemacht, aber seine Spezialität waren kunstvoll handgeschnitzte Kinderwiegen. Seine Arbeit war also nicht auf den Tod, sondern auf den Beginn des Lebens ausgerichtet, und er stellte sich, wenn er an einer dieser schönen Wiegen arbeitete, manchmal vor, wer der neue Erdenbürger, der bald darin liegen würde, wohl sein mochte und wie er aussah.
    An diesem Freitag war es erst zwanzig Uhr, aber Harry Wayne hatte bereits so viel geladen, daß es ihn nach Hause zog. Wenn er voll war, ließ er sich gern in sein hartes Bett fallen. Er boxte dann noch das Kopfkissen zurecht und schlief stets im Handumdrehen, meist schmatzend, ein.
    »He, Harry!« rief John Jarman. »Wohin willst du denn?«
    Wayne befand sich auf dem Weg zur Kneipentür. Das Lokal war zum Bersten voll. Rauchschwaden bildeten einen bläulichen Nebel, in dem man sich verirren konnte. An den Tischen saßen einfache Männer, kaum Frauen. Die Gesellschaft war hier ein bißchen zu rauh für das weibliche Geschlecht.
    Harry Wayne blieb stehen und drehte sich um. »Nach Hause«, sagte er. Seine Augen waren glasig, er schwankte leicht.
    »Jetzt schon?« fragte John Jarman verwundert.
    Wayne zuckte mit den Schultern. »Es ist Zeit für mich, ins Bett zu kommen.« Seine Zunge war schwer. Er tat sich schwer beim Reden.
    Hinter dem Tresen arbeitete Katie Figger, ein hübsches Mädchen, stämmig, drall, frech, keß und sexy. Sie war die rauhe Art der Männer gewöhnt. Manch einer versuchte, ihr nahe zu kommen, doch sie ließ nicht jeden an sich heran. Sie konnte sich sehr gut zur Wehr setzen. Einige der Gäste konnten davon ein leidvolles Lied singen.
    Katie lachte über einen zweideutigen Witz gellend auf und rief:
    »Hört zu! So hört doch zu! Da fällt mir auch einer ein! Kommt ein Mönch in ein Bordell…«
    Rings um sie großes Schweigen. Die Männer machten den Hals lang und spitzten die Ohren, um die Pointe nicht zu verpassen, und dann schallte brüllendes Gelächter auf.
    Katie war richtig, sie gehörte hierher. Kein anderes Mädchen hätte sich in dieser Kneipe am Stadtrand von London so behaupten können wie sie.
    »So«, sagte das Mädchen. »Und jetzt entschuldigt mich einen Moment. Ich muß in den Keller…«
    »Bleib doch noch«, sagte John Jarman zu Harry Wayne.
    »Was soll ich noch hier?«
    »Ich gebe einen aus.«
    »Ich kriege nichts mehr runter«, sagte Wayne und schüttelte den Kopf. »Ich hab’ mein Quantum intus. Nichts geht mehr. Jetzt möchte ich nur noch schlafen.«
    Jarman machte eine wegwerfende Handbewegung. »Na schön, dann geh. Mit dir ist wirklich nichts mehr anzufangen.«
    Wayne zuckte wieder mit den Schultern und ging weiter. Er öffnete die Kneipentür und nahm den Lärm, der im Lokal herrschte, mit hinaus. Mit dem Schließen der Tür schnitt er das Lachen, Johlen und Schreien ab.
    Er pumpte frische Luft in seine Lungen und ging mit unsicheren Schritten die Straße entlang. Ab und zu huschte seine Zunge über die Lippen. Hin und wieder schnitt er eine Grimasse, und er führte, wie stets, wenn er betrunken war, ein langes Selbstgespräch, in dessen Verlauf er sämtliche Probleme erörterte, die tagsüber angefallen waren.
    Jetzt ging er an einer alten, schäbigen Friedhofsmauer vorbei. Der stille Gottesacker umgab eine kleine Kirche, deren schlanke Turmspitze wie eine Nadel in den Himmel stach.
    In einer Nische befand sich ein Kreuz. Hier blieb Harry Wayne immer kurz stehen, um ein kleines Gebet zu murmeln. So voll konnte er gar nicht sein, daß er die Worte nicht zusammengekriegt hätte.
    Er bekreuzigte sich, murmelte, bekreuzigte sich wieder, ging weiter.
    Das Friedhofstor, aus alten, rostigen Eisenstäben, gewährte einen Blick auf Gräber und Grüfte. Dünne Nebelschlieren schlichen wie traurige Geistergestalten zwischen den Hügeln umher, scheinbar ruhelos, auf der Suche nach ewigem Frieden.
    Kerzen brannten in windgeschützten
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