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165 - Am heiligen Berg

165 - Am heiligen Berg

Titel: 165 - Am heiligen Berg
Autoren: Stephanie Seidel
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noch weitere Schuldige.«
    »Dann müssen wir ein anderes Bauernopfer finden.« Ki Ling tippte sich grübelnd ans Kinn. Er konnte sich nur schwer konzentrieren, weil draußen auf der Straße Tumulte ausbrachen. Offenbar setzten die Tschinnaks Waffen ein.
    Das Geschrei war entsetzlich.
    »Wen könnten wir ihnen geben?« Ki Ling sah sich gehetzt nach seinem Berater um. Die Zeit lief ihm davon. Draußen brüllte jemand, man solle den Palast stürmen. »Den Schamanen vielleicht?«
    Ping verneinte. »Den hast du köpfen lassen.«
    »Stimmt. Wie wäre es dann mit den Fischern von Shang'kai?«
    »Sind im Lavasee.«
    »Irgendjemand aus Shen Chi?«
    »Das nehmen sie dir nicht ab«, sagte Ping. Etwas flog von draußen krachend an die Palastwand.
    »Wen? Wen? Wen?« Ki Ling rang die Hände. Er schwitzte vor Angst. »Quong Ho? Ach nein, der ist ja nicht zurückgekehrt. Warum ist er nicht zurückgekehrt?«
    »Weil…« Ping erstarrte, den Blick auf den Boden gerichtet. Plötzlich glättete sich seine gefurchte Stirn. Ping sah auf. Er lächelte. »Weil Ti'bai an allem Schuld ist!«, sagte er.
    ***
    Quong Ho traute seinen Augen nicht, als die schweren Fellvorhänge am Thronsaalfenster fortgezogen wurden und der
    Himmlische Hüter
    erschien. Ki Ling wirkte aufgedunsen; er war blass und sichtlich nervös, doch er zeigte keine Angst.
    Das merkte auch die Menge, in deren Schutz Quong Ho bis zum Palast vorgedrungen war. Das Gebrüll verebbte.
    Schwerter sanken herab, und alle Köpfe wandten sich dem Fenster zu.
    Quong Ho machte sich bereit. Heute trug er keine Verkleidung – heute würde der Kaiser fallen und er, Quong Ho, die Nachfolge antreten! Seine Leute waren überall in der Menge verteilt. Sie warteten nur auf sein Zeichen. Quong Ho besaß inzwischen eine eigene Armee von Todesdrachen, die den echten Tschinnaks zahlenmäßig überlegen war. Er hatte sie auf seinen Ländereien im Westen trainiert, wohin auch seine Familie geflohen war, die mit der Beschlagnahme der Roten Hänge ihren gesamten Besitz verloren hatte.
    »Tapfere Bauern! Wie gut, dass ihr gekommen seid!«, rief der Kaiser.
    Quong Ho klappte der Mund auf. Hatte er sich verhört?
    Unruhe war im Volk; Murren und das gefährliche Stöhnen der Verletzten. Tschinnaks gingen unauffällig durch die Reihen der hochblickenden Menschen und setzten ihm ein Ende.
    Ki Ling breitete seine Arme aus. »Seht diesen Schnee, der keiner ist!« Er zögerte. Niemand ahnte, dass hinter dem Vorhang der Kaiserliche Berater stand und soufflierte. Ki Ling fuhr fort: »Seht die Armut und Verzweiflung in unserem Land und die zerstörte Ernte auf den Feldern, die ihr bestellt! Manche wollen euch einreden, dies sei das Werk eines Dämons! Ich aber sage euch: Es ist das Werk unserer Feinde!«
    Quong Ho war fassungslos. Er sah, wie ein Bauer in der Reihe vor ihm sich fragend an seinen Nebenmann wandte und der nur genauso fragend zurück blickte.
    »Jawohl: unserer Feinde! Wollt ihr wissen, wo sie sind?«, rief Ki Ling. Die beiden Bauern drehten sich ihm zu. Der Kaiser zeigte nach Westen. »Da hinten liegt ihr Land! Dort gibt es keine Armut, keine Verzweiflung und keinen Schnee, der zu Asche zerfällt und unsere Kinder krank macht! Die Feinde Cinnas leben im Überfluss, und während ihr Bauern auf euren Feldern schuftet, sitzen sie in warmen Hütten und kleiden sich…«, er griff nach hinten und zog etwas ans Licht, »in diesen Stoff!«
    Ein Raunen ging durch die Menge, als Ki Ling das lange Seidentuch im Wind flattern ließ. Die Bauern hatten sanshi noch nie gesehen und waren beeindruckt. Quong Ho spürte, wie sich sein Magen verkrampfte.
    Ki Ling öffnete die Hand, und das Tuch segelte davon.
    Männer sprangen hoch, um es aus der Luft zu fangen. Sie rempelten sich an, rissen es sich gegenseitig aus den Fingern, und Ki Ling nickte zufrieden.
    »Söhne Cinnas!«, rief er. »Wollt ihr alle solchen Stoff?«
    »Ja«, scholl es hier und da zurück.
    »Wollt ihr Essen und Kleidung und gute Ernten?«
    »Ja!« Die Stimmen mehrten sich.
    Ki Ling beugte sich aus dem Fenster. »Soll der Dämon verschwinden, der unser Land so quält?«
    »Jaa!«, schrien die Bauern.
    »Sollen wir den Feind bestrafen, der ihn uns geschickt hat?«
    »Jaa!« Waffenhände flogen hoch.
    Ki Ling hieb auf die Fensterbank. »Sollen wir ihn töten und uns seinen Reichtum holen?«
    »Jaa!«
    Ki Ling breitete die Arme aus. »Dann auf nach Ti'bai, tapfere Bauern!«, brüllte er ekstatisch. »Vernichtet den Feind!«
    »Auf nach Ti'bai!«,
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