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Villa Oma

Villa Oma

Titel: Villa Oma
Autoren: Ilse Kleberger
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Dickmadam

    „Sie kommt, sie kommt“, rief Brigitte mit sich überschlagender Stimme. Jan und Peter, die im Hof friedlich gespielt hatten, ließen alles stehn und liegen und kletterten auf den Zaun, um die Straße, die aus dem Dorf führte, entlangzublicken .
    „Ich auch“, jammerte Rolf, der noch nicht allein hinaufgelangen konnte. Er wollte anfangen zu weinen, aber als er sah, daß die Geschwister ihn gar nicht beachteten, schrie er noch lauter „ich auch“. Jan packte ihn am Arm und zerrte ihn hoch. Dann schauten sie alle gebannt auf die Straße, auf der eine seltsame Gestalt gewandelt kam. Es war eine unmäßig dicke Frau in einem flatternden grünen Mantel, einen großen giftgrünen, mit Pelz garnierten Hut auf dem Kopf. Im Gegensatz zu ihrer Dicke waren die Füße sehr klein und steckten in Schuhchen mit hohen Absätzen, auf denen sie daherschwankte wie ein Schiff im Sturm. Hinter ihr trippelte ein winziger Hund mit weißem, zottigem Fell, das ihm über die Augen hing und in dem er ein grünes Schleifchen trug. Als die Frau näher kam, rutschten alle Kinder vom Zaun wieder herab in die Büsche und spähten von dort aus durch die Latten.
    „Dickmadam, Dickmadam“, rief Jan, was die Frau im Nu in tobende Wut brachte. Sie fuchtelte mit den Händen, drohte und schrie mit sich überschlagender Stimme:
    „Wartet nur, ihr unverschämten Gören, wartet nur; ich werd’s euch geben, wenn ich euch erwische.“

    Der kleine Hund begleitete das Geschrei seiner Herrin mit schrillem Gekläff. Die Frau blickte wild um sich, aber sie konnte die Kinder, die sich in die Büsche duckten, nicht entdecken. Brigitte hielt Peter den Mund zu, weil er ein Kichern nicht unterdrücken konnte. Rolf hatte Angst und war wieder dicht am Weinen. Aber da er sah, daß sich niemand um ihn kümmerte, verkniff er es sich. Rolf weinte nur, wenn es sich lohnte. Vor sich hin schimpfend setzte die Frau ihren Weg fort. Als sie außer Hörweite war, sprangen die Kinder auf und lachten und schrien. Peter wälzte sich kichernd im Gras, und Rolf hüpfte auf einem Bein und quietschte dazu begeistert: „Dickmadam, Dickmadam!“
    Plötzlich wurde Brigitte ernst und sagte: „Eigentlich ist es gemein, daß wir sie so ärgern.“
    Die anderen schwiegen verdutzt still, doch dann rief Jan empört: „Du spinnst wohl! Wer war denn zuerst gemein? Wir doch nicht! Sie hat uns beschimpft, als wir vor ihrem Haus gespielt haben. Dazu hatte sie doch gar kein Recht. Die Straße gehört ihr ja schließlich nicht. Sie hat uns geärgert, und darum dürfen wir sie auch ärgern!“
    Brigitte antwortete nicht, aber Jan hatte sie nicht überzeugt. Ihre übermütige Fröhlichkeit war verschwunden, und sie fühlte sich bedrückt.
    Die dicke Frau wohnte seit ein paar Monaten am Rande des Dorfes in einem großen, schloßähnlichen Haus, das lange leergestanden hatte. Eine Bauersfrau, die täglich bei ihr saubermachte, erzählte, daß sie eine reiche Witwe sei und allein mit ihrem Hund in den fünfzehn Zimmern des Hauses lebte. Sie hieß Frau Hubermeier. Aber die Kinder im Dorf nannten sie nur „Dickmadam“ und machten sich ein Vergnügen daraus, sie zu ärgern. Sie glaubten sich dazu im Recht, weil die dicke Dame ihnen von Anfang an gezeigt hatte, daß sie Kinder nicht mochte. Sie hatte sie verjagt, wenn sie vor ihrer Villa spielten; und sich beim Bürgermeister beklagt, daß Jungen und Mädel, die an ihrem Haus vorbei zum Baden im See gingen, zuviel Lärm machen würden.
    An diesem Nachmittag hatte Jan ein Erlebnis, das ihn in seiner Abneigung gegen die dicke Dame bestätigte. Er ging an der Mauer entlang, die den großen Park, der zu ihrem Haus gehörte, umschloß . Hinter der hohen, weißen Steinwand hatte der Park etwas sehr Geheimnisvolles. Man hörte Wasser plätschern, und grüne Wipfel von Bäumen schauten herüber. Mit kundigem Blick stellte Jan fest, daß einige davon Obstbäume waren. Der Ast eines Pflaumenbaumes hing schwerbeladen mit blauen, glänzenden Früchten über die Mauer herüber. Er war wie eine freundliche Hand, die sich trotz allem aus diesem Grundstück herüberstreckte. Jan brauchte nur einen kleinen Luftsprung zu machen und schon hatte er die Faust voll praller, von der Sonne noch warmer Früchte.

    Doch ehe er die erste in den Mund stecken konnte, hörte er über sich eine kreischende Stimme:
    „Wirst du wohl meinen Pflaumenbaum in Ruhe lassen, du Dieb du! Ich werde mich beschweren.“ Jan hatte vor Schreck die Pflaumen fallen lassen.
    Aus
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