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Holzhammer 02 - Teufelshorn

Holzhammer 02 - Teufelshorn

Titel: Holzhammer 02 - Teufelshorn
Autoren: Fredrika Gers
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    1
    Kurz nach dem Steilaufschwung betrug die Sicht vielleicht noch 10 Meter. Nur Max konnte den großen alten Steinbock sehen, der mitten auf dem Weg stand und ihn aus diesen rätselhaften hellen Augen mit den länglichen Pupillen ruhig ansah. Das Tier wog gut doppelt so viel wie er und machte keine Anstalten, zur Seite zu gehen. Hinter Max gab es einen Stau.
    Die achtköpfige Gruppe war am frühen Morgen bei Sonnenschein von der Wasseralm aufgebrochen. Da hatten sie auf der anderen Seite des Königssees noch den Watzmann im Morgenrot aufragen sehen. Später hatte sich der herbstliche Tau in den Tälern erwärmt und war dampfend zu ihnen aufgestiegen. Inzwischen hüllte dichter Nebel die Teufelshörner ein wie Schlagsahne ein Stück Zwetschgendatschi.
    Vom See aus hätte man diese Schicht als Wolken bezeichnet. Wer mittendrin war, sprach immer von Nebel. Oder man sprach gar nicht, sondern konzentrierte sich darauf, die roten Punkte und spärlichen Steindauben, die den Weg markierten, nicht aus den Augen zu verlieren.
    Doch über die Wegfindung machten diese Bergsteiger sich am allerwenigsten Sorgen, denn an ihrer Spitze ging Max Saumtrager, ein versierter Gebietskenner. Trotzdem wurde wenig gesprochen beim Aufstieg. Obwohl die Gruppe bei diesen wenig einladenden Verhältnissen unterwegs war, handelte es sich nämlich keineswegs um eine freundschaftlich verbundene Bergsportgemeinschaft. Im Gegenteil: Hier waren zwei feindliche Lager unterwegs – mindestens. Und dann gab es vielleicht auch noch den einen oder die andere, für den die Überschreitung der Teufelshörner eben doch kein Spaziergang war.
    Tatsächlich war die ganze Tour als eine Art Konklave gedacht. Der gestrige Abend auf der Hütte hatte dazu dienen sollen, sich auszusprechen und eine für alle akzeptable Regelung zu finden. Doch dann waren die Fetzen geflogen. Die beiden Seilbahnbetreiber waren sich fast an die Gurgel gegangen und hatten von ihren jeweiligen Bürgermeistern getrennt werden müssen. Über diese Szene würde man sich später allerdings ausschweigen.
    «Was ist los?», rief eine Männerstimme. In der wassergesättigten Luft klang es dumpf und fern.
    «Stoabock. Steht direkt vor mir!», rief Max zurück. Nur rund 3 Meter trennten ihn von dem beeindruckenden Gehörn des selbstbewussten Vierbeiners. Näher heran würde er auf keinen Fall gehen, und den Weg zu verlassen war in diesem Nebel auch keine Option.
    «Sag eam, parken verboten», rief jemand von ganz hinten, wahrscheinlich der langjährige Bürgermeister von Schönau am Königssee. Er war nicht mehr der Jüngste und bildete daher den Schluss. Dies war einer der wenigen Punkte, die man später mit Sicherheit würde feststellen können.
    Erstaunlicherweise schritt der Steinbock nach dieser amtlichen Anweisung unwillig ein paar Meter zur Seite. Die Gruppe konnte passieren und erreichte wenige Minuten später den Gipfel des Großen Teufelshorns. Der spitzte tatsächlich ein paar Meter durch die Wolken, und sie genossen die umfassende Aussicht. Es sah sogar aus, als würde der Nebel sich noch weiter zurückziehen. Fast konnte man schon drüben den niedrigeren Gipfel des Kleinen Teufelshorns erahnen. Doch zunächst ging es auf Schrofen und losem Schutt hinab in den Sattel zwischen den Hörnern und damit zurück in den Nebel. Genau auf diesem Flachstück ballte sich besonders dicke Watte. Niemand würde später sagen können, in welcher Reihenfolge sie den Sattel durchquert hatten. Man achtete zwar darauf, den Vordermann nicht zu verlieren – aber wer das nun war …
    Die schwierigsten Stellen kamen erst auf der anderen Seite, beim Aufstieg auf das zweite, das Kleine Teufelshorn. Man musste sich etwas rechts halten und durch eine steile Rinne hinauf. Hier ließ Max zwei geübte Teilnehmer vorgehen, den anderen würde er bei Bedarf etwas Hilfestellung leisten. Während er zusah, wie die beiden Einheimischen in der Rinne nach oben verschwanden, hörte er mit halbem Ohr hinter sich Steine poltern. Möglicherweise auch gezischte Wortfetzen, einen kurzen Aufschrei? Da wollte er sich später nicht festlegen.

    Hauptwachtmeister Franz Holzhammer saß stillvergnügt auf der Veranda seiner Gartenhütte, die er im letzten Jahr endlich fertig gebaut hatte. Auf dem Tisch vor ihm befanden sich ein Thinkpad mit 17-Zoll-Bildschirm sowie ein Weißbier. Nicht nur die Anwesenheit dieser beiden Gegenstände trug zu seinem Seelenfrieden bei, sondern auch gewisse Abwesenheiten –
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