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165 - Am heiligen Berg

165 - Am heiligen Berg

Titel: 165 - Am heiligen Berg
Autoren: Stephanie Seidel
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mehr.«
    Aruulas Augen schimmerten verräterisch. »Aber ich nehme Yinjo mit, wenn ich gehe!«
    »Nein. Der Junge will hier bleiben.«
    »Das kann er nicht entscheiden. Er ist nur ein Kind!«
    Zornig riss sich die Barbarin los.
    »Was hast du mit ihm vor?«, fragte Tandra Meeru unverändert sanft. »Willst du ihn behalten und großziehen? Oder wirst du ihn an der nächsten Hütte abgeben?«
    »Jedes Leben ist besser als der Tod auf Shi'gana!«, sagte Aruula trotzig.
    Tandra Meeru schüttelte den Kopf. »Yinjo hat sich entschieden, das musst du respektieren. Und nun komm! Ich zeige dir einen geheimen Weg.«
    ***
    17:30 Uhr
    Das Heer hatte die Ebene überquert und kam auf Shi'gana zu. Aus den Punkten am Horizont waren Gestalten geworden. Reihe um Reihe marschierten sie heran, wie schwarze Ameisen, das Licht der sinkenden Sonne im Rücken. Ihr Waffenklirren war bis ins Tal der Seidentänzer zu hören, Unheil verkündend und dumpf.
    Tandra Meeru hielt die Zügel fest, während sich Aruula auf das Yakk schwang. »Am Ende der Baumreihe führt ein Weg hinunter zum See«, erklärte er. »Reite am Ufer entlang, dann hast du den heiligen Berg stets im Blick. Du wirst den Moment nicht verpassen, wenn er aufflammt.«
    Aruula zögerte noch immer. »Diese verfluchten Cinnesen! Lass mich wenigstens versuchen, sie aufzuhalten!«
    »Nein«, sagte Tandra Meeru freundlich. »Ein Schwert macht keinen Unterschied – und ich will, dass du lebst!« Er bückte sich nach einer blau schillernden Feder, küsste sie sacht und schob sie dem Yakk unters Zaumzeug. »Reite los, Aruula vom Volk der Dreizehn Inseln! Ich hoffe, dass der heilige Berg dir die Antworten gibt, nach denen dein Herz sich so sehnt! Mögen deine Götter mit dir sein!«
    Sprachs, wandte sich ab und ging davon.
    ***
    18:00 Uhr
    Ohne Eile trottete Aruulas Yakk am Ufer des Sees entlang, auf einem uralten Pilgerpfad, den zahllose Gläubige über die Jahrhunderte betend beschritten hatten. Die Menschen waren längst vergangen, und ihre Stimmen waren verhallt. Aber etwas war geblieben.
    Aruula konnte es spüren: Da war ein Wispern im Wind, das sich nirgends zuordnen ließ. Die Barbarin schaute sich um. Kleine Wellen schwappten ans Ufer – träge, als hätten sie alle Zeit der Welt. Steinchen klackerten unter den Hufen des Yakks; es schnaufte gelegentlich und spielte mit den Ohren.
    Ein Abendrot zog auf, das die fernen, stillen Bergriesen in leuchtende Schleier hüllte. Über ihnen, erhaben und seltsam unwirklich, thronte der Kei'lun. Seine vereisten Flanken begannen zu glänzen. Sie funkelten fast, und Aruula nickte.
    Jeden Moment musste er aufflammen – wenn die sinkende Sonne den Punkt zwischen den Türmen von Shi'gana erreicht hatte.
    »Shi'gana«, murmelte sie bitter. Aruula wusste, dass es ein nutzloses Opfer gewesen wäre, sich allein gegen eine Armee zu stellen. Trotzdem fühlte sie sich schlecht. Es war nicht einfach, Menschen den Rücken zu kehren in dem Wissen, dass sie gleich sterben würden.
    »Was hätte ich machen sollen? Wenn die Mönche nicht mal fliehen wollen, müssen sie eben selber sehen, wie sie klar kommen«, versuchte sich Aruula zu rechtfertigen.
    Tränen liefen über ihr Gesicht. »Das gilt auch für den dummen Jungen!«
    Das Yakk warf den Kopf hoch, als wollte es zustimmen.
    Aruula beugte sich vor und zog die Feder aus seinem Halfter.
    Nachdenklich zwirbelte sie sie zwischen zwei Fingern. Das Eisvogelblau blitzte im Streiflicht der Sonne wie ein Gegenstand aus Maddrax' Welt der Tekknik. Wer diese Welt nicht kannte, musste es für ein Götterzeichen halten.
    Ruckartig hielt Aruula das Yakk an. »Ein Götterzeichen!«, sagte sie in plötzlicher Erkenntnis. »Aber ja!«
    Aruula zerrte das schnaufende Tier herum. Was hatte Tandra Meeru gesagt? Ein Schwert macht keinen Unterschied!
    Die Barbarin nickte.
    »Stimmt«, sagte sie. »Es ist nicht das Schwert! Es ist die Hand, die es führt!«
    ***
    18:15 Uhr
    Bitte, Wudan! Lass mich nicht zu spät kommen, betete Aruula, während sie ihrem Yakk wieder und wieder die Absätze in die Flanken stieß.
    Das mächtige Tier lief so schnell wie nie zuvor; seine Brust war von Speichel bedeckt. Als es den Klosterhügel erreichte, sprang Aruula ab und rannte auf den geheimen Weg zu, ohne zurück zu blicken.
    Hinter ihr – unbemerkt – flammte der heilige Berg auf.
    Bitte, Wudan! Bitte! Aruula spurtete durch das Tal der Seidentänzer. Sie trat Grünzeug nieder, das nicht schnell genug auswich, und stieß herunter hängende
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