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Letzte Worte

Letzte Worte

Titel: Letzte Worte
Autoren: Karin Slaughter
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Prolog
    A llison Spooner wollte in den Ferien aus der Stadt raus, aber sie wusste nicht, wohin sie fahren sollte. Es gab auch keinen Grund hierzubleiben, aber wenigstens war es billiger. Wenigstens hatte sie ein Dach über dem Kopf. Wenigstens funktionierte in ihrer Wohnung hin und wieder die Heizung. Wenigstens bekam sie in der Arbeit eine warme Mahlzeit. Wenigstens, wenigstens, wenigstens … Warum ging es in ihrem Leben immer um das Wenigste? Wann würde m al eine Z eit kommen, da es anfing, um das Meiste zu gehen?
    Der Wind wurde stärker, und sie ballte in den Taschen ihrer dünnen Jacke die Fäuste. Es regnete kaum, es war eher ein feuchtkalter Dunst, der sich auf den Boden senkte, wie vor der Nase eines Hundes. Die eisige Kälte, die vom Lake Grant kam, machte es noch schlimmer. Sooft der Wind auffrischte, kam es ihr vor, als würden winzige, stumpfe Rasierklingen ihr die Haut ritzen. Eigentlich war man hier in South Georgia, nicht am verdammten Nordpol.
    Während sie auf dem baumbestandenen Ufer nach sicherem Tritt suchte, kam es ihr vor, als würde jede Welle, die am Schlamm leckte, die Temperatur um ein weiteres Grad absenken. Sie fragte sich, ob ihre leichten Schuhe stabil genug waren, um Frostbeulen an ihren Zehen zu verhindern. Im Fernsehen hatte sie einen Mann gesehen, der alle Finger und Zehen an die Kälte verloren hatte. Er hatte gesagt, er sei dankbar, überhaupt noch am Leben zu sein, aber die Leute sagten doch alles, nur um ins Fernsehen zu kommen. So wie Allisons Leben im Augenblick lief, würde die einzige Sendung, in die sie es je schaffen würde, die Abendnachrichten sein. Man würde ein Foto zeigen– wahrscheinlich das grässliche aus ihrem Highschool-Jahrbuch– und daneben die Wörter » Tragischer Tod « .
    Allison erkannte durchaus die Ironie der Tatsache, dass sie für die Welt tot wichtiger wäre. Lebend scherte sich niemand einen Dreck um sie– die wenigen Dollar, die sie gerade noch so zusammenkratzen konnte, der beständige Kampf, im Studium mitzukommen und zugleich all die anderen Verantwortlichkeiten in ihrem Leben zu bewältigen. Nichts davon würde für irgendjemanden von Bedeutung sein, außer sie landete erfroren am Seeufer.
    Wieder frischte der Wind auf. Allison drehte der Kälte den Rücken zu, spürte, wie ihre eisigen Finger ihr in den Brustkorb stachen, auf die Lunge drückten. Ein Zittern lief durch ihren Körper. Ihr Atem stand als Wolke vor ihr. Sie schloss die Augen. Der Sprechgesang ihrer Probleme drang zwischen ihren klappernden Zähnen hervor.
    Jason. Uni. Geld. Auto. Jason. Uni. Geld. Auto.
    Das Mantra durchbrach den kalten Wind. Allison öffnete die Augen. Sie schaute sich um. Die Sonne ging schneller unter, als sie gedacht hatte. Sie drehte sich zum College um. Sollte sie zurückgehen? Oder sollte sie weitergehen?
    Sie entschloss sich weiterzugehen und zog den Kopf gegen den heulenden Wind ein.
    Jason. Uni. Geld. Auto.
    Jason. Ihr Freund hatte sich, scheinbar über Nacht, in ein Arschloch verwandelt.
    Uni. Sie würde vom College fliegen, wenn sie nicht mehr Zeit zum Studieren fände.
    Geld. Sie würde sich kaum das Leben sichern, geschweige denn zur Uni gehen können, wenn sie ihre Arbeitsstunden noch weiter reduzierte.
    Auto. Als sie es heute Morgen anließ, hatte es angefangen zu qualmen, was keine große Sache war, weil es seit Monaten qualmte, aber diesmal war der Rauch durch die Lüftungsschlitze ins Innere gedrungen. Auf der Fahrt zum College wäre sie beinahe erstickt.
    Allison stapfte weiter und fügte ihrer Liste » Frostbeulen « hinzu, während sie um die Biegung des Sees ging. Wenn immer sie blinzelte, hatte sie das Gefühl, ihre Lider würden durch eine dünne Eisschicht schneiden.
    Jason. Uni. Geld. Auto. Frostbeulen.
    Die Angst vor Frostbeulen schien am drängendsten zu sein, obwohl sie widerwillig zugeben musste, dass ihr, je mehr sie darüber nachdachte, umso wärmer wurde. Vielleicht schlug ihr Herz schneller, oder sie ging schneller, als die Sonne langsam hinter dem Horizont verschwand und sie erkannte, dass ihr Jammern über den Tod in der Kälte Wirklichkeit werden würde, wenn sie sich, verdammt noch mal, nicht beeilte.
    Allison stützte sich mit einer Hand an einem Baum ab, um ein Gewirr von Wurzeln zu überqueren, die im Wasser verschwanden. Die Rinde war feucht und fühlte sich unter ihren Fingerspitzen schwammig an. Ein Gast hatte heute Mittag einen Hamburger zurückgehen lassen, weil er meinte, das Brötchen sei zu schwammig. Es war
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