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Intruder 6

Intruder 6

Titel: Intruder 6
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Sechster Tag
    Pünktlich mit dem ersten Sonnenstrahl, der seinen Weg durch das mit Brettern vernagelte Fenster fand, erwachte er.
    Stille umfing ihn, der Geruch von Staub und das Gefühl, vollkommen allein zu sein.
    Mike öffnete die Augen und hob im nächsten Moment erschrocken den Arm, um auf die Uhr zu sehen. Er war noch nicht wirklich wach. Sein Bewusstsein balancierte noch auf dem Rasierklingen dünnen Grat zwischen Traum und Realität.
    Für die Dauer von zwei oder drei schmerzhaften Herzschlägen weigerten sich seine Augen, das Ziffernblatt deutlicher denn als verschwommenen Fleck wahrzunehmen, und für die gleiche Zeitspanne war er felsenfest davon überzeugt, verschlafen zu haben. Er fuhr hoch, bekam einen plötzlichen und sehr heftigen Schwindelanfall und ließ sich gerade noch rechtzeitig genug wieder nach hinten sinken, um nicht vom Bett zu fallen. Sein Kreislauf kam offensichtlich nicht annähernd so schnell in Schwung wie seine Gedanken.
    Immerhin hatte er nicht geträumt; wenigstens nicht so schlimm, dass er sich daran erinnerte. Er würde nie wieder träumen. Nicht so.
    Mike blieb lang ausgestreckt und mit geschlossenen Augen auf dem Rücken liegen, zählte in Gedanken langsam bis acht und sah dann noch einmal auf die Uhr. Er hatte nicht verschlafen, ganz im Gegenteil. Es war noch fast eine Stunde Zeit. Er setzte sich vorsichtig auf, stützte die Ellbogen auf die Knie und verbarg für einen Moment das Gesicht in den Händen. Gut zwei oder drei Minuten lang blieb er einfach so sitzen, dann nahm er langsam die Hände herunter, versuchte die Schultern zu straffen und ließ es gleich wieder sein, als seine misshandel-ten Muskeln mit einem schmerzhaften Ziehen und Pochen dagegen protestierten. Erst jetzt bemerkte er, dass das Stechen in seiner Brust aufgehört hatte. Vielleicht hatte er einfach nur falsch gelegen - kein Kunststück auf dieser Folterbank von einem Bett. Gleichzeitig wusste er natürlich, dass dem nicht so war. Er war gut darin, immer neue Ausreden zu finden.
    Eine falsche Haltung, eine falsche Bewegung, Hunger ... es gab tausende von harmlosen Gründen, auf die man das immer heftiger und häufiger auftretende Schmerzgefühl in seiner Brust schieben konnte. Unglückseligerweise war er auch intelligent genug, um zu wissen, was es wirklich bedeutete.
    Ganz offensichtlich gingen Intelligenz und Dummheit gern Hand in Hand. Es nutzte nichts, zu wissen, dass all die vorge-schobenen Gründe nur Lügen waren, um sich selbst zu beruhigen. Die Lügen beruhigten ihn - zumindest kurzfristig.
    Mike schob den Gedanken fast ärgerlich zur Seite. Er gab sich selbst ein heiliges Ehrenwort, sich darum zu kümmern, sobald sie wieder zurück in Deutschland waren (auch das war eine Lüge, und auch das wusste er), und erhob sich mit einer so heftigen Bewegung, dass ihm beinahe wieder schwindelig geworden wäre. Als ob er sich im Moment nicht um wirklich Wichtigeres kümmern müsste!
    Aufmerksam sah er sich in dem winzigen, fast leeren Zimmer um. Gestern Abend, als er hierher gekommen war, war es dunkel gewesen. Im Schein der gelben Sturmlaterne hatte das Zimmer winzig und trostlos ausgesehen, und im kaum helleren, aber milderen Licht des hereinbrechenden Tages sah es gena u-so winzig und fast noch trostloser aus: ein praktisch leerer Raum, in dem es nur ein Bett, eine Kommode, die nur noch auf drei Beinen stand, und einen kleinen Tisch gab, der zwar noch alle Beine hatte, aber nicht wirklich vertrauen erweckender aussah als die Kommode. Auf dem Tisch befand sich eine Plastikflasche mit Wasser, mehrere in durchsichtiges Zellophan eingewickelte Sandwichs und ein bedrohlich aussehender Revolver mit kurzem Lauf. Neben der Waffe lagen die Schlüssel seiner Intruder und ein lieblos aus einer Straßenkarte herausgerissenes Blatt, das mit Fettflecken und Schmutz übersät war und Sanora und seine nähere Umgebung am Vergin River zwischen Littlefield in Arizona und Bunkerville in Nevada zeigte. Zwei Finger breit neben dem leicht verscho-benen Quadrat, das Sanora bezeichnete, und eine Handbreit neben der gestrichelten gelben Linie der Staatsgrenze nach Nevada war eine Markierung aus rotem Filzstift zu sehen.
    Mike trat an den Tisch heran, schraubte die Wasserflasche auf und nahm einen großen Schluck. Er verzog leicht angewidert das Gesicht. Das Wasser war warm und schal. Wenn es jemals Kohlensäure enthalten hatte, war sie längst entwichen. Er ließ einige Tropfen in seine hohle linke Hand laufen und verrieb sie im
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