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Intruder 6

Intruder 6

Titel: Intruder 6
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Gesicht; alles andere als eine Erfrischung. Nachdem er sich gezwungen hatte, einen weiteren Schluck zu trinken, schraubte er die Flasche sorgsam wieder zu, nahm die eingewickelten Sandwichs zur Hand und warf sie achselzuckend auf die Tischplatte zurück, nachdem er festgestellt hatte, dass es sich ausnahmslos um Käsebrote handelte. Er hasste Käse. Außerdem: Wenn er daran dachte, was ihm bevorstand, dann brachte er sowieso keinen Bissen herunter.
    Er nahm die Waffe zur Hand, drehte sie einen Moment unschlüssig in den Fingern und klappte schließlich die Trommel heraus. Sie war gefüllt. Er hatte kein Ersatzmagazin und würde auch keines brauchen - wenn diese sechs Patronen nicht ausreichten, dann war sowieso alles zu spät. Obwohl ihm der bloße Gedanke, auf einen Menschen zu schießen, noch immer nahezu körperliche Übelkeit bereitete, erfüllte ihn das Gewicht der Waffe zugleich mit einem fast obszönen Gefühl von Sicherheit. Nein, das stimmte nicht: Macht. Das war es, was er spürte. Die uralte Verlockung, die Waffen schon immer auf Menschen ausgeübt hatten, selbst auf die, die behaupteten, es wäre nicht so.
    Hastig steckte er die Waffe ein, beugte sich über den letzten Gegenstand, der auf dem Tisch lag - die Karte - und versuchte, sich das Durcheinander aus Flecken, unleserlichen Buchstaben und scheinbar willkürlichen Linien genau einzuprägen.
    Schließlich faltete er die Karte umständlich wieder zusammen, schob sie in die Innentasche seiner Jacke und sah auf die Uhr.
    Noch gut fünfzig Minuten bis zum Start der Operation. Ba nnermann und sein Deputy würden ihre beiden Gefangenen um Punkt acht Uhr aus den Zellen des Sheriff’s Office auf der anderen Straßenseite holen und in den Streifenwagen verfrach-ten, und er konnte es nicht riskieren, sein Versteck vorher zu verlassen.
    Fünfzig Minuten können sich zu einer Ewigkeit dehnen, wenn man zum Nichtstun und Warten verdammt ist. Mike war jetzt wirklich ärgerlich auf sich, dass er so früh aufgewacht war.
    Mit steifen Schritten ging er zum Tisch zurück, trank einen weiteren, großen Schluck von dem schalen Wasser in der Plastikflasche und nahm sie mit sich, als er das Zimmer verließ. Draußen im Flur war es heller. Sämtliche Fenster des Hauses waren vernagelt, aber ein Teil des Daches war eingestürzt. Es war unangenehm warm, schon jetzt, und unter seinen Schritten wirbelte der Staub auf, obwohl er sehr vorsichtig auftrat. Nicht ganz zu Unrecht befürchtete er, die morschen Fußbodendielen könnten unter seinem Gewicht nachgeben.
    Das Haus stand seit mindestens zehn Jahren leer, vermutlich sehr viel länger, und außer dem brutalen Wechsel glühender Sonnenhitze bei Tag und manchmal zweistelliger Minustempe-raturen bei Nacht hatten auch der Wind und die ein oder andere Termite an seiner Substanz genagt; es war wenig mehr als eine Kulisse. Die Kulisse für einen Horrorfilm.
    Vorsichtig stieg Mike die Treppe ins Erdgeschoss hinab. Er konnte nicht sagen, wozu dieses Gebäude einmal gedient hatte.
    Die gesamte untere Etage bestand aus einem einzigen großen Raum, der ebenfalls nahezu leer war. An einer Wand gab es deckenhohe Regale, die nichts anderes als Staub enthielten, und davor eine niedrige Theke, deren ursprüngliche Farbe sich unter einer gut fingerdicken Schmutzschicht verbarg. Vielleicht war das hier tatsächlich so etwas wie ein Saloon aus einem uralten Wildwestfilm, vermutlich aber etwas sehr viel Banale-res: ein Gemischtwarenladen, eine Poststation. Gleich neben der Tür hing ein emailliertes Waschbecken an der Wand.
    Obwohl er das Ergebnis vorausahnte, drehte Mike den Wasserhahn auf. Er wurde mit einem erbärmlichen Quietschen belohnt, sonst passierte nichts.
    Mike schnitt dem versiegten Wasserhahn eine Grimasse und hob die Hand, um die rot-weiß karierte Gardine beiseite zu schieben, die vor der Fensterscheibe an der Tür hing. Sie zerbröselte unter seiner Berührung zu Staub, und Mike begriff zu spät, dass ein Teil des grauen Gewebes, in das er gegriffen hatte, ein eng gewobenes Spinnennetz gewesen war, das noch eine Bewohnerin hatte. Durch die Berührung alarmiert, sprang diese vor und prallte im letzten Moment zurück, als ihre zahlreichen, aber hoffnungslos kurzsichtigen Augen ihr signalisierten, dass die vermeintliche Beute ein wenig zu groß für ihren kaum daumennagelgroßen Körper war. Mike bezweifelte, dass das Tier giftig war. Da er Spinnen wie die Pest hasste, hatte er sich schon vor Antritt der Reise über die hiesige
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