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Deus X

Deus X

Titel: Deus X
Autoren: Norman Spinrad
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1
     
     
    Es heißt, dies seien die letzten Tage, Mama Gaia sei von
ihren hirnlosen Kindern ermordet worden, die Riffe bestünden nur
noch aus toten Korallen, das Eis verflüssige sich weiter, der
Wasserspiegel steige immer noch, die Biosphäre schmelze in der
supertropischen Sonne dahin wie eine große, am Marsstrand
angeschwemmte Qualle.
    Klar, wir sind die Enkel alles andere als weiser alter Affen, aber
andererseits sind wir alle aus Dreck geboren, heißt es in einem
der Bücher der Bibel, also haben wir uns in Anbetracht unserer
Herkunft vielleicht doch gar nicht so schlecht gemacht. Und was mein
Arbeitsgebiet betrifft, so bin ich mittlerweile überzeugt,
daß selbst die Entitäten auf der Anderen Seite nur das
Beste aus dem Blatt rausholen, das jemand anders ihnen gegeben
hat.
    Man hat mir erklärt, das sei eine schlechte Einstellung, aber
viele, die das sagen, zahlen mir gutes Geld, um sie für ihre
Zwecke zu nutzen. So mußt du nämlich drauf sein, wenn du
mit dem klarkommen willst, was auf der Anderen Seite ist, ob du nun
glaubst, du hättest es mit elektronischen Loas, deinen lieben
Verstorbenen oder bloß den Expertensystem-Geistern zu tun, die
in den Bits und Bytes spuken.
    Selbst wenn du glaubst, daß auf der Anderen Seite nichts
existiert, was imstande ist, Gefühle zu haben, gibt’s da
alles mögliche, was sie gut genug nachbilden kann, um jeden
emotionalen Turing-Test zu bestehen, und deshalb solltest du dir
für deinen Aufenthalt im postmortalen Rom lieber selbst mal ein
paar Manieren nachbilden, denn die Entitäten da drüben
überzeugen dich locker davon, daß sie sehr wohl
welche haben, wenn deine ›Ich bin realer als
ihr‹-Attitüde sie nervt.
    Ich zieh da jedenfalls keine Show ab, Mann – mag ja sein,
daß ich in die letzten Tage reingeboren worden bin, aber selbst
die Überreste dieser kranken alten Biosphäre werden immer
noch da sein, wenn ich schon längst auf der Insel der
Glückseligen bin.
    Vielleicht liegt’s am Kraut, daß ich so ‘n
sonniges Gemüt habe. Der alte Sonnengott kommt mir jetzt, wo
kein Ozon mehr da ist, um unsere arme Haut vor seinem
Todesstrahlenblick zu schützen, nicht mehr so freundlich vor,
aber ich sage, es ist ja nicht der Goldjunge, der sich geändert
hat, und außerdem wär ohne ihn bloß alles dunkel,
also schmier ich mich mit Sonnencreme ein, setz mir den alten
Strohhut und die Sonnenbrille auf, steck mir ‘nen Spliff an und
schipper über sonnenbeschienene Meere.
    Also nenn mich Ishmael, das ist zwar nicht mein Name, aber ich
würde lieber den großen weißen Walgesang anstimmen
als mich bei dem Trauermarsch einklinken.
    Mein richtiger Name ist Marley Philippe, und ich bin immer auf Mellow Yellow. Das ist mein Boot, Mann, nicht das Kraut, und
sie ist für mich so real wie nur was. Ich hab sie mit
Sündengeld gekauft, besser, du weißt da nichts
Näheres drüber. Ist jetzt sechs Jahre her, aber sie ist
technisch immer noch absolut top.
    Die Yellow ist ‘n zwölf Meter langer
Windfoliensegler. Die Folien sind gleichzeitig Sonnenkollektoren, und
mit einer vollen Dreitageladung läuft sie mitten in der Nacht
auf spiegelglatter See immer noch zehn Stunden lang siebzehn Knoten,
liefert mir gleichzeitig den Strom für meine Geräte und hat
sogar noch genug Saft übrig, um mich mit fünfzig Watt
Reisemusik zu versorgen. Bei einem üblen Hurrikan falten sich
die Folien zusammen und verschwinden in den Masten, die Masten
klappen ins Deck, das Dach über der Plicht fährt hoch, und
ich kann mich in eine völlig dichte Kabine mit einer
hübschen kleinen Kombüse und einem riesigen
Kühlschrank und allem zurückziehen, was ich brauche, um an
Bord zu bleiben und U-Boot zu spielen, wenn’s sein
muß.
    Was kann ein armer Junge mehr verlangen? Mal abgesehen
natürlich von einem Meer voller springender Fische und
tropischer Inseln, auf denen einem süße Früchte in
den Mund wachsen und dunkelhäutige Damen in der milden Sonne
baden. Zugegeben, das ist nicht mehr so leicht zu haben, nachdem vom
karibischen Paradies meiner Vorfahren nur dicht gedrängte
Menschenmassen auf ein paar Hochplateaus und Berggipfeln mit
todgeweihten Küstensümpfen drumherum übriggeblieben
und alle bis auf die größeren verstädterten Inseln im
Pazifik schon längst in der Wasserwüste versunken sind.
    Aber wenn des Menschen Narrenhand auch die einstigen
Sonnenscheininseln genommen hat, so gibt die menschliche Dummheit
doch auch, und zwar mit derselben blinden Willkür. Sie gibt
Fjorde in
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