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Deus X

Deus X

Titel: Deus X
Autoren: Norman Spinrad
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recht hast, geben sie
dir ‘ne Harfe zu spielen und Flügel zum Fliegen. Und wenn
du dich irrst, kostet’s dich nichts, denn das ist es doch
eh, was wir alle in einem gottlosen Nichts kriegen werden.
    Aber als man sein Bewußtseinshologramm in Silizium,
Galliumarsenid oder supraleitende Buckyball-Chips laden konnte, als
man eine Garantie für die Fortdauer seiner Software über
das Ableben der ursprünglichen Meatware-Matrix hinaus kriegen
und sich im Medienmenü des Big Boards seine eigene Form des
elektronischen Lebens nach dem Tod aussuchen konnte, standen die
Chancen schon gleich ganz anders.
    Die römisch-katholische Kirche hat ihre jedenfalls nicht
verbessert, indem sie ihren Gläubigen die transkorporeale
Unsterblichkeit bei Strafe der ewigen Verdammnis verbot. Heute
gibt’s vielleicht noch sechzig oder siebzig Millionen Katholiken
– nicht gerade eindrucksvoll, nicht mal in dieser
entvölkerten Welt der letzten Tage.
    Aber sie ist gut bei Kasse, die Kirche, und ihre Kostüme,
ihre Choreographie, Musik und Mystik überspannen einen Zeitraum
von mehr als zweitausend Jahren, und in diesen letzten Tagen unseres
Planeten stößt eine Mission vom Vatikan selbst bei einem
Jungen wie mir immer noch auf Widerhall.
    Es war Dezember, und ich lag vor der italienischen
Mittelmeerküste, vielleicht dreihundert Kilometer von Rom
entfernt. Es war ein erträglich sonniger Wintertag, und ich hing
mit einem Bier und einem Spliff in der offenen Plicht und tat so, als
würde ich in den toten Wassern fischen, als die Konsole mir die
Eröffnungstakte von Beethovens Fünfter rüberpiepte,
mein damaliges Signal für einen Anruf.
    Er kam über Lautsprecher und Bildschirm rein. Ein Brustbild
von einem Weißen in einem schwarzen Anzug, Typ Firmenjurist,
bloß daß der Kragen irgendwie komisch aussieht; eine
goldene Kette hängt halb aus dem Bild, und auf dem Kopf hat er
ein rotes Käppchen. Das kommt mir alles irgendwie bekannt vor,
aber mir geht erst ein Licht auf, als er es anknipst, und dann
fällt es mir schwer, es zu glauben.
    »Mr. Philippe?«
    »Jawohl, mein Lieber, genau der.«
    »Kardinal John Silver«, sagt er, »ich muß Sie
in einer äußerst dringenden Angelegenheit
sprechen.«
    Er hat schütteres schwarzes Haar und einen schwarzen,
weiß gesträhnten, eckig geformten Bart, die den Eindruck
erwecken, als wären sie vor fünf Minuten mit einem Laser
gestutzt worden – weltmännisch, wie man so sagt, dazu harte
braune Augen, einen Mund, der so aussieht, als würde er gern und
oft über feinsinnige Scherze kichern, und die sanfte, kraftvolle
Stimme eines Konzern-Schlachtrosses. Wirkt wie der Typ, der nie
schwitzt und sich wie die siamesische Katze eines Diplomaten durch
alles durchschlängelt.
    Jetzt sieht er aber nicht so supercool aus, er versucht auch
nicht, es zu verbergen, und sein Erscheinungsbild hat etwas so
Merkwürdiges an sich, daß ich immer noch nicht
erkenne, daß ich mit einem Kirchenfürsten spreche.
    »Bei Ihnen oder bei mir, Mr. Silver?« frage ich und
greife nach meiner Dreadcap.
    »Nein, nein, nein!« sagt er. »Das hier ist schon
riskant genug. Ich muß Sie persönlich treffen.«
    »Persönlich? Sie meinen, in Fleisch und Blut?«
    »Ich meine hier in Rom, Mr. Philippe, und ich meine so bald
wie möglich. Die Kirche braucht dringend und sofort Ihre Dienste
in einer äußerst delikaten Angelegenheit von höchster
Bedeutung, und wir sind bereit, recht ordentlich dafür zu
bezahlen, wenn Sie sich beeilen und unserem Auftrag Priorität
einräumen.«
    »Was haben Sie gesagt, wen Sie vertreten, Mr.
Silver?«
    »Kardinal Silver, oder Eure Eminenz, wenn Sie das
vorziehen«, faucht er mit einem Hochmut, der wie eine Ohrfeige
für einen Bauernlümmel ist. »Ich vertrete die
römisch-katholische Kirche, Mr. Philippe, und in dieser
Angelegenheit spreche ich mit päpstlicher Vollmacht. Sie
müssen sofort nach Rom kommen!«
    »Nun, wenn ich mich entschließe, Ihren Auftrag
anzunehmen – zu meinem doppelten Standardsatz –, und wenn
die Uhr ab sofort läuft, könnte ich den nächsten Hafen
in etwa einer Woche erreichen…«
    »Wir schicken einen Hubschrauber.«
    »Sie schicken was?«
    »Wir haben in drei Stunden einen Hubschrauber draußen
bei Ihnen, der Sie abholen wird.«
    Einen Hubschrauber! Allein bei dem Gedanken geht’s einem
schon durch und durch! Die große böse
Überwachungskiste des letzten Jahrhunderts, die
benzinschluckende Vampirfledermaus unseres
Treibhaus-Sündenfalls, ein fliegender Ziegelstein,
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