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Deus X

Deus X

Titel: Deus X
Autoren: Norman Spinrad
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Hoheitsbereichen haben
die Bürger der Anderen Seite nicht mehr juristische Rechte als
ein Tabellenkalkulationsprogramm, und es ist bekannt, daß die
Erben Subroutinen oder sogar komplette Kopien als
Expertensystemsklaven für die Konzern-Bits-und-Bytes
verscherbelt haben.
    Manchmal verkauft die Meatware-Schablone im vorhinein
Expertensystem-Reproduktionsrechte an ihren eigenen transkorporealen
Nachfolger. Manchmal fechten die Erben das an und verkaufen ihre
eigenen Dups, und alle verklagen einander wegen
Copyright-Verletzungen. Ich habe einen Fall bearbeitet, in dem eine
Nachfolger-Entität erfolgreich ihre eigene verstorbene
Meatware-Schablone verklagt hat, um aus einem dieser Verträge
rauszukommen.
    Ich kriege also alles mögliche. Freßgierige Haie aus
dem Konzernbecken. Meatware-Anwälte und solche, die die
Nachfolger-Entitäten direkt zu vertreten versuchen.
Regierungsagenten und noch unheimlichere Gestalten.
    Schließlich stöpselt sich alle Welt pausenlos ins Big
Board ein, man tut es, wenn man ein Videophon-Operator-Programm zu
Rate zieht, einen Vortrag von Einstein aufruft, ein paar Aktien
abstößt oder sich auf einmal dem häßlichen Tony
oder Mr. Fiskus gegenübersieht. Die Videophonsysteme,
Datenbanken und Kommunikationsnetze der Welt, die unternehmenseigenen
Systeme und die des Staates, die Verkehrsregelung, die
Satellitennetze und die Öko-Monitore, alle schicken sie uns ihre
Bits und Bytes auf die glänzende Oberfläche des Big
Boards.
    Man holt sich das Zeug in 2D auf einen Flachbildschirm, wo es
einem ins Ohr murmelt und man sich damit unterhalten kann, man setzt
die Dreadcap auf, zieht die Handschuhe über und geht rein, oder
man tippt einfach auf einer Tastatur und kriegt Antworten in Form von
Buchstaben und Ziffern.
    Die meisten Leute interessieren sich nur für die
Oberfläche des Boards, und diese offizielle Oberfläche ist
ein netter, sauberer Arbeitsbereich mit Funktionstasten, die man gut
kennt, und zertifizierbaren Interface-Entitäten, die eine Mutter
liebhaben könnte.
    Doch unter der Oberfläche unserer offiziellen elektronischen
Realität verbirgt sich eine ungeheure Tiefe, und ich sag euch,
Jungs, da sind Haie in diesen Gewässern, oder jedenfalls
Expertensystem-Simulationen von welchen, und dorthin muß ich
gehen, dafür werde ich bezahlt.
    Man könnte also sagen, daß ich ein Schnüffler bin,
aber dein Ur-Urgroßvater würde mich vielleicht als
Schamanen bezeichnen. Aus einer bestimmten Sicht beschwöre ich wirklich die Toten herauf, obwohl ich mich manchmal dabei
ertappe, daß ich glaube, die Geister beschwören mich.
    Aber mein Job verhindert, daß ich solche Positionen
einnehme. Wie alle Schnüffler bin ich für einen bestimmten
Preis zu haben. Und wie alle Schamanen bin ich ein Interface zwischen
dieser Seite der Grenze und der Anderen, ein Kommunikationsmedium,
kein aktiver Agent. Das rede ich mir jedenfalls immer ein, wenn
dunklere Fügungen als mein Kontoauszug den Speer ihrer
Realität in eine weiche Stelle meiner Seele stoßen.
    Sogar als ich das erste Mal mit der römisch-katholischen
Kirche ins Geschäft kam.
    Erinnert ihr euch noch an die römisch-katholische Kirche? Gab
mal eine Zeit, da wurde die gesamte Christenheit vom Vatikan regiert.
Noch im einundzwanzigsten Jahrhundert hat die
römisch-katholische Kirche international eine wichtige Rolle
gespielt. Hat mehr Anhänger gehabt als jeder Nationalstaat.
    Aber als Papst Johannes Paul IV. seine Bulle gegen die klonale
Unsterblichkeit erließ, schrumpfte ihr Gefolge sehr rasch, und
obwohl es Roberto I. ein paar Päpste später gelang, ihnen
die Sache wieder auszureden, waren Software-Nachfolger zu jener Zeit
schon die große postmortale Mode, doch selbst er konnte sich
nicht dazu durchringen, die transkorporeale Unsterblichkeit im
elektronischen Disneyworld-Himmel zu preisen, und seitdem ist es mit
der Mitgliederzahl stetig bergab gegangen.
    Schließlich haben die katholischen Sakramente im Gegensatz
zum Kraut keine Echtzeit-Kommunion mit Gott zuwege gebracht; das
einzige, was sie dafür zu bieten hatten, daß man ihren
schmalen, geraden Weg ging, waren Manna und Hosianna im großen
Nirwana.
    Und dahin bist du natürlich erst nach dem Tod gekommen. Es
hatte auch noch nie jemand Ansichtskarten aus der katholischen
Version der Unsterblichkeit auf der Anderen Seite geschickt. Entweder
du hast dran geglaubt oder nicht.
    ›Descartes’ Spiel‹ haben sie das genannt. Du kannst
im Grunde auch einfach dran glauben. Wenn du
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