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Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman

Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman

Titel: Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman
Autoren: Johannes Scharf
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Kapitel I

    Der Regen klopfte an das kleine Fenster, das einen langen, geraden Riß in der linken Ecke aufwies und durch welches an sonnigen Tagen ausreichend Tageslicht in die Stube viel, um im Innern ohne Beleuchtung auszukommen. Doch heute brannte die Leselampe, denn die Sonne versteckte sich hinter dunklen Wolken, und obschon es erst drei oder vier Uhr – also noch mitten am Tage – war, schien es bereits zu dämmern. Der Regen lief in kleinen Bächlein die Straßen und Wege hinunter, sammelte sich in Pfützen und verschwand dort, wo sie nicht verstopft waren, in Abflüssen.

    Alles war grau in grau: die Silhouetten von Häusern ebenso wie die Schatten einiger weniger Menschen, die rasch vorüberhuschten, in den Gassen von einem Unterstand zum nächsten sich vorarbeitend oder einen Schirm haltend, um der Naturgewalt von oben nicht ganz schutzlos ausgeliefert zu sein.

    Roland Häberle legte die Zeitung neben sich, erhob sich aus seinem Lesesessel und ging langsam zum Fenster hinüber; zum Fenster mit der angerissenen Scheibe. Er betrachtete aber nicht den Riß – dieser fiel ihm schon seit langem gar nicht mehr auf –, sondern er blickte auf den Rathausplatz von Niefern, der sich unweit seiner kleinen Wohnung auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand. Er sah niemanden. Nicht einmal ein Auto fuhr vorüber in den Minuten, die er am Fenster verweilte, um hinauszustarren. Sein Blick war leer, war ausdruckslos, war müde geworden. Fast mochte man glauben, er, Roland Häberle, der vor Jahren ein Theaterschauspieler von guter Reputation auf den lokalen Bühnen gewesen war, sei des Lebens müde geworden. Vielleicht war er es. Er kehrte der Welt draußen seinen Rücken zu und ließ sich abermals in seinem Lesesessel nieder, dabei die Zeitung wieder aufgreifend. Es war die Zeitung vom ersten April 2033, aber zu Scherzen war er nicht aufgelegt. Und leider, dachte er, waren auch die Schlagzeilen und Artikel nicht als Aprilscherze zu verstehen: „Friedliche Revolution in den Niederlanden auf dem Vormarsch“ stand da beispielsweise fett auf Seite eins.
    Das Gesicht Europas hatte sich in den letzten beiden Dekaden stark verändert, es war geradezu kaum wiederzuerkennen. In Frankreich hatte es vor zwei Jahren blutige Revolten gegeben, die von Muslimen ausgegangen waren und in der Errichtung eines mohammedanischen Gottesstaates und der Abschaffung der Republik gegipfelt hatten. Die Gegenwehr der autochthonen Bevölkerung Frankreichs konnte als nicht vorhanden gewertet werden, da die Armee keinen Befehl zum Einschreiten erhalten hatte, ehe es schon zu spät gewesen war, den Aufstand noch erfolgreich niederzuschlagen. Die Polizei war mit den mannigfachen Brandherden überfordert gewesen und hatte noch erschwerend Anweisung gehabt, keine scharfe Munition zu gebrauchen. Als endlich doch das Militär zu Hilfe gerufen wurde, da wandte sich überall ein Gutteil der in französischem Sold stehenden muslimischen Nordafrikaner und Araber gegen ihre überraschten französischen Kameraden, und ein Blutbad war die Folge.

    Das Blut von Franzosen rann damals, vor nicht einmal zwei Jahren, die Gehsteige Lyons, Lilles und Marseilles hinunter wie nun der Regen das Pflaster des Rathausplatzes in Niefern. Häberle, der in seinen siebzig Jahren, die er schon mit sich herumschleppte, viel erlebt hatte, schüttelte den Kopf, als er seine Lesebrille abnahm, um sie zu putzen: „Nun also Holland!“ sinnierte er und schüttelte abermals unwillig das Haupt mit dem ergrauten Haar, so als könne er, als wolle er nicht glauben, was dort draußen in der Welt vor sich ginge.

    Er erinnerte sich auch an die allwöchentlich wiederkehrenden Ausschreitungen von Migranten in Berlin, Hamburg, Köln und in anderen deutschen Großstädten. Doch es waren nicht nur die Metropolen, die mit dieser seit Jahrzehnten überhand nehmenden Plage zu kämpfen hatten. Auch im Ländle, in Baden-Württemberg, gab es regelrechte Wespennester, die durch ein falsches Wort in der Presse oder ein lokales Gerücht – oder grundlos – in hellen Aufruhr geraten konnten: so etwa Mannheim, Stuttgart, Karlsruhe oder Pforzheim. Pforzheim, das von Niefern nicht einmal eine Handvoll Kilometer entfernt gelegen war. Häberle lief es bei dieser Vorstellung kalt über den Rücken… Aber er wollte sich nicht unterkriegen lassen mit seinen siebzig Jahren.
    Er ballte die Faust und lächelte bei dem Gedanken, daß er eine Flinte im Schrank stehen hatte. „Sollen sie nur kommen“ dachte
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