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Deus X

Deus X

Titel: Deus X
Autoren: Norman Spinrad
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seiner
geliebten Autos und Motorräder fertigzuwerden, des irrwitzigen
Verkehrs, der es lange zu einem Alptraum für
Fußgänger gemacht, aber der Stadt ihren scharfkantigen,
frenetischen Rhythmus gegeben hatte.
    Jetzt ist diese Musik verstummt, die Hälfte der Einwohner
sind fort, und die Stadt hat einen letzten Satz Ruinen hinzubekommen,
die Blocks alter, verlassener Mietshäuser, in denen früher
das lärmige, laute Leben der Stadt pulsierte. Heute ächzen
gebleichter Stein und bröckelnder Stuck unter der sengenden
Treibhaussonne, die berühmten Brunnen sind trocken, und die
Reste der ausgedörrten Vegetation verharren wie ich am Rande des
endgültigen Exitus.
    Auf ein hinfälliges Straßenbahnnetz, Fahrräder und
ihre eigenen Beine beschränkt, sind die Römer zu
urzeitlichen Dörflern degeneriert, die sich in ihren eigenen
Vierteln einigeln, immer kleinteiligere Chauvinismen entwickeln und
Fremden mit Mißtrauen begegnen, während sie zugleich mit
griesgrämiger Habgier ihren Anteil an den Überbleibseln des
todgeweihten Touristengeschäfts verteidigen.
    Sicher, der Petersdom ist für Rom immer noch der Nabel der
Welt. Aber wenn der Anblick seiner Kuppel aus trügerischer Ferne
Gedanken an die Ewigkeit der Kirche heraufbeschwört, so
löst der Kontrast zwischen der Stadt Gottes und der
thanatologischen, menschengemachten Stadtlandschaft nur
trübsinnige Grübeleien über unseren endgültigen
Fall aus. Hier, in einer Stadt, die sich so lange mit den Folgen von
Adams Ursünde befaßt hat, drückt das Gewicht unseres
zweiten und anscheinend endgültigen Sündenfalls mit einer
großen steinernen Hand auf die Seele.
    Da ich meine letzten Tage nicht in einer solchen Umgebung
verbringen wollte, hatte ich tatsächlich schon vor langen Jahren
Grünberg als meine letzte Zuflucht ausersehen, ein Dorf hoch
oben in Tirol, wo es noch alpine Dörfer gibt, die der
Klimakatastrophe entkommen zu sein scheinen. Das Land bleibt bis weit
in den Mai hinein grün, die Luft wirkt kristallklar, und die
Temperatur ist fast das ganze Jahr über bestenfalls mild.
    Die jungfräuliche Reinheit solcher
Ökosphären-Nischen ist natürlich eine Illusion. In
Wahrheit ist die ultraviolette Strahlung dort oben selbst an einem
Wintertag brutal, und der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre
unterscheidet sich nicht von der katastrophalen globalen Norm.
Zwischen Juni und Oktober sind die malerischen kleinen Dörfer
verlassen; die verbliebenen Einwohner sind Zugvögel geworden,
die vor der Sommersonne talabwärts fliehen, so wie einst die
Bergziegen und das Rotwild vor dem nicht mehr vorhandenen
Winterschnee abgestiegen sind.
    Es war jetzt April, jener Monat, der einst als der grausamste
galt, und wenn ich meinen Bestimmungsort erreichte, würden die
alpinen Dörfler bereits ihren jährlichen Rückzug
antreten. Aus fleischlicher Sicht war es töricht, meine
verbleibenden Monate dort oben im grellen, ultravioletten
Sonnenschein zu verbringen. Aber andererseits war der finale
somatische Schaden bereits angerichtet, und weitere Schädigungen
der DNA hielten keinen Schrecken für jemanden bereit, der
bereits daran starb, daß er dieser Strahlung ein langes Leben
hindurch ausgesetzt gewesen war.
    Und aus spiritueller Sicht sprach vieles dafür, daß ich
meinem Schöpfer hoch oben in diesen einsamen Bergen begegnete,
wo ich den Folgen der Namenlosen Sünde ausgesetzt war, mich in
meinen letzten Stunden kontemplativ der göttlichen Gerechtigkeit
überließ und zusammen mit den Wintergräsern unter dem
erbarmungslosen Glanz der tödlichen Sommersonne starb.
    Die Reise nach Tirol war so beschwerlich, wie es jede solche
letzte Pilgerfahrt sein sollte, und mehr als das. Ein Schienenwagen
brachte mich in ein paar kurzen, unbequemen Tagen ins italienische
Vorgebirge hinauf, aber von da aus ging es mit Pferdekutschen weiter,
die auf den schlecht befestigten Überresten alter Autostradas
und Autobahnen aufwärts ächzten, auf denen früher
einmal Massen Benzin verbrennender Tourenwagen hupend dahingedonnert
waren. Schließlich und endlich gaben sogar die Kutschdienste
auf, und so verbrachte ich die letzte Woche meiner Reise auf dem
Rücken eines spatkranken alten Maultiers, das schwerfällig
gegen den Strom verwirrter Dörfler antrabte, die in die relative
Sicherheit des Tieflands herabkamen.
    Als ich in Grünberg eintraf, war der Ort nahezu menschenleer,
und ich konnte relativ günstig ein solides altes, modernisiertes
Chalet mieten.
    Früher einmal war es ein
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