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Deus X

Deus X

Titel: Deus X
Autoren: Norman Spinrad
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unbedarftesten Geist am Ende des Lebens und der
Zeit.
    Wenn wir nicht an solch eine Errettung glauben können, was
sind wir dann? Wenn ich nicht glaube, daß der Organisator einer
solchen Errettung hinter den Unvollkommenheiten seiner Kirche am Werk
ist, dann bin ich kein richtiger Priester. Wenn ich die Disziplin der
Kirche aufgebe, um meinem eigenen unvollkommenen Gewissen zu folgen,
beraube ich dann nicht letztendlich die Kirche meines Beitrags, so
wie ich ihrer Gnade entsage?
    Das sind die Gedanken, die einen sterbenden alten Priester
erfüllen, der nichts anderes zu tun hat, als unter der
Treibhaussonne mit matten Schritten über eine verdorrende Wiese
zu laufen und sich dabei mit der tödlichen Zukunft abzufinden
oder unter der gespenstischen Kathedrale eines Kuppelskeletts zu
sitzen und über die theologischen Konflikte der Vergangenheit
nachzugrübeln.
    Ich, wurde in die schon damals schrumpfende Gemeinschaft der
Gläubigen hineingeboren, in eine Familie von Bauern, die
Milchvieh hielten und immer noch versuchten, im französischen
Zentralmassiv zu überleben, und als meine Eltern
schließlich nach Clermont-Ferrand hinunterziehen mußten,
um Arbeit zu suchen, fand ich mich in einer tristen Stadtlandschaft
wieder, der gegenüber mir das Seminar als glückliche
Fluchtmöglichkeit erschien. Als junger Priester wurde ich in die
Elendsgebiete am Amazonas geschickt, wo ich aus erster Hand
miterlebte, wie fruchtlos es war, die Gefallenen mit
Getreidesäcken zur Kirche zu locken, um ihren tauben Ohren
Erlösung zu predigen.
    Die Berichte, die ich nach Hause schickte, waren die ersten meiner
Schriften, die von der Kirche unter Verschluß genommen wurden,
aber sie brachten mir die Aufmerksamkeit eines gleichgesinnten
Kardinals ein, der meinen Aufstieg in die intellektuelle Hierarchie
der Kirche förderte, die ich gelegentlich den Medien
gegenüber repräsentiert habe.
    Das war kurz bevor Roberto I. seine Bulle erließ, die
einzelnen Nachfolger-Klonen eine fortlebende Seele zusprach, und ich
war einer derjenigen, deren Argumente gegen die Unfehlbarkeit des
Papstes den kürzeren zogen.
    »Wo soll das enden?« fragte ich vor Kameras und
Mikrofonen. »Wenn eine einzelne Kopie der
Persönlichkeits-Software die unsterbliche Seele ihrer
fleischlichen Schablone enthält, wie kann man dann behaupten,
daß sie in der zweiten, dritten oder tausendsten Kopie nicht
ebenfalls enthalten ist? In Wahrheit müssen sie allesamt reine
Expertensystem-Simulationen sein. Denn die Seele ist unteilbar und
kann darum nicht dupliziert werden, und sie ist unsterblich und kann
darum nicht in einer vergänglichen physischen Matrix eingefangen
werden.«
    »Könnten Sie uns das noch mal in sendefähiger Form
sagen, Pater?«
    »Die Seele kann nicht wie ein x-beliebiges geklontes Organ
von einem Körper in den nächsten verpflanzt werden. Wenn
Sie einen Nachfolger-Klon haben, so ist das reine Meatware, die
darauf programmiert ist, Ihr Bewußtsein nachzubilden. Ihr
Bewußtsein existiert nicht mehr, und Ihre Seele steht bereits
vor dem Richterthron.«
    »Noch mal im Klartext, Pater?«
    »Sie sind tot, der Klon ist ein satanischer Golem, Ihre Seele
ist in Gottes Händen, und es gibt absolut nichts, was die
Wissenschaft jemals dagegen tun kann.«
    Nun, als Roberto I. bald darauf seine anderslautende Bulle
erließ, war meine Zeit als öffentlicher Sprecher der
Kirche abgelaufen, und meine Karriere als oppositioneller Theologe
hatte bereits begonnen, ob es mir gefiel oder nicht.
    Ich muß zugeben, daß ich das Scheinwerferlicht anfangs
vermißte und mit meinen Gelübden haderte. Doch obwohl die
Kirche ein monolithische Fassade präsentiert, sind abweichende
Fraktionen innerhalb ihres inneren intellektuellen Diskurses nicht
nur erlaubt, sondern werden sogar gefördert, solange die
intellektuelle Wäsche nicht in der Öffentlichkeit gewaschen
wird, und ich fügte mich recht bald und letztendlich mit einem
Gefühl der Erleichterung in eine lebenslange Rolle als Vertreter
einer Minderheitsposition in der Gedankenwelt der Kirche.
    Freilich hätte ich mir gewünscht, daß meine Sicht
der Dinge den Sieg davontrug. Bestürzt mußte ich
mitansehen, wie sich in der Gedankenwelt der Kirche die Ansicht
durchsetzte, daß man den Uniklonen die Kommunion erteilen
solle, und wie sie damit auf die Infragestellung der
Immaterialität der Seele selbst zuschlitterte.
    Was die päpstliche Unfehlbarkeit angeht, so muß man sie
in einem korporativen Sinn verstehen. Die Kirche
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