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Deus X

Deus X

Titel: Deus X
Autoren: Norman Spinrad
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Bauernhof gewesen – die Ruinen
einer Scheune waren noch andeutungsweise zu sehen –, dann ein
kleines Skihotel, dessen Liftmasten nach wie vor über die sich
braun färbende Almwiese zu der kahlen alpinen Felsenspitze
hinaufliefen, die über ihm aufragte. Nach der letzten
Schneeschmelze war es anscheinend der Zufluchtsort eines reichen
Exzentrikers geworden. Das Holzhaus war unter einer geodätischen
Kuppel eingeschlossen worden, um es vor dem Angriff der Sonne zu
schützen. Die Scheiben der Kuppel hatten der ultravioletten
Strahlung schließlich nicht mehr standgehalten, und
spätere Bewohner hatten sie herausgeschlagen oder sich einfach
nicht die Mühe gemacht, die mit der Zeit auftretenden
Abnutzungserscheinungen zu reparieren, obwohl da und dort immer noch
bläuliche Kunststoffstücke an den skelettalen
Überresten hingen.
    Die Haustechnik des Chalets wurde jedoch weiterhin von
funktionstüchtigen Solarkollektoren gespeist; dazu gehörten
eine geräumige Kühlkammer, fließendes warmes und
kaltes Wasser sowie ein höchst raffinierter, mit italienischer,
deutscher, französischer und chinesischer
Expertensystem-Software bestückter Autokoch. Obwohl das Haus
viel zu groß für meine Bedürfnisse war, würde es
bis zum Ende für mein leibliches Wohl sorgen, so daß ich
Muße genug für meine letzte Reise nach innen und oben
hatte.
    Zuerst erwog ich, meine letzten Memoiren zu schreiben, und setzte
mich auch daran, aber in Wirklichkeit öffnete und schloß
ich nur eine Überfülle von Arbeitsdateien, bis ich
schließlich aufgab und alle Kopien dieses peinlichen
Gewäschs aus dem Speicher löschte.
    In Wahrheit hatte ich schon längst alles gesagt, was ich zu
sagen hatte, und vieles davon lag immer noch unter päpstlichem
Edikt; wozu die Mühe, ein egoistisches letztes Testament zu
produzieren, dessen Stimme ebenfalls zum Schweigen gebracht werden
würde?
    Ich bin oftmals gefragt worden, warum ich päpstlichen
Verfügungen, mit denen ich so deutlich erkennbar nicht
einigging, gehorcht und damit zugelassen habe, daß so viele
meiner Schriften nicht publiziert wurden. Ich habe keine Antwort
darauf, die einer anderen Logik als der des Glaubens folgt. Vor
langer Zeit habe ich meine Gelübde abgelegt und bin Priester
geworden, und obgleich das Zweckdenken mich oft genug veranlaßt
haben mag, das zu bereuen, war es ja gerade der Sinn dieser
Gelübde, die Kapitulation vor solchen Impulsen zu
verhindern.
    Ich bin stets nur ein katholischer Priester gewesen, der versucht
hat, Gottes Willen zu verstehen und seiner Kirche nach bestem Wissen
und Gewissen zu dienen, ohne Luzifers Sünde intellektueller
Hoffart zu verfallen. Mag sein, daß manche von denen, die sich
beehrt haben, Petrus’ Platz einzunehmen, nicht heiliger waren
als ich, und ich würde mich verstellen, wenn ich leugnete,
daß nicht wenige von ihnen mir intellektuell unterlegen waren,
aber die Kirche selbst ist mehr als die Summe ihrer menschlichen
Teile. Selbst die Papstfolge ist Gottes Art, mit dem unvollkommenen
Ton des Menschen sein Werk zu tun. Wenn wir das leugnen, was ist die
Kirche dann anderes als ein Betrug?
    Natürlich ist sie in den Augen des größten Teils
der Welt tatsächlich ein Betrug. Wenn Gott Seinen eingebornen
Sohn geopfert hat, um uns vor unseren Sünden zu retten, warum
sind wir dann nicht gerettet worden? Wenn es ein gerechter und
allmächtiger Gott war, der die Erde unserer Verwaltung
unterstellt hat, warum hat Er dann nicht eingegriffen, bevor wir sie
hingemordet hatten?
    Die satanische Antwort ist gleichbedeutend mit der zynischen
säkularen Reaktion – ›Wir sind dem Teufel begegnet,
und zwar in uns selbst.‹
    Wahr, allzu wahr, aus einer gewissen Sicht. Es war der Mensch, der
in seinem Verwalteramt versagt hat und die Biosphäre an einem
umgedrehten Kreuz aus versteinertem Schwefel gekreuzigt hat. Und es
ist der Mensch, der – unfähig, den Folgen seiner Taten
für die Spezies zu entgehen – sich dem göttlichen
Strafgericht zu entziehen versucht, indem er sich in der seelenlosen
Software eines ›transkorporealen Nachfolgers‹
versteckt.
    Wer kann leugnen, daß dies satanisches Verhalten ist? Aber
noch satanischer ist es, wenn wir uns für die vollständigen
satanischen Herren der dunklen Kräfte halten, die in uns walten.
Denn damit leugnen wir, was die Kirche immer noch verspricht –
Erlösung und Errettung, wenn auch nicht für unseren
Planeten oder die Zeit unseres Verweilens auf ihm, so doch für
das Licht noch im
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