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James Bond 06 - Dr. No (German Edition)

James Bond 06 - Dr. No (German Edition)

Titel: James Bond 06 - Dr. No (German Edition)
Autoren: Ian Fleming
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HÖRE SIE LAUT UND DEUTLICH
    Pünktlich um achtzehn Uhr ging die Sonne hinter den Blue Mountains unter. Violette Schatten senkten sich über die Richmond Road, und in den schönen Gärten begannen die Grillen zu zirpen und die Baumfrösche zu quaken.
    Abgesehen von diesen Hintergrundgeräuschen war die breite, leere Straße ruhig. Die reichen Besitzer der großen, zurückgesetzt liegenden Häuser – die Bankdirektoren, Firmenchefs und hohen Verwaltungsbeamten – waren seit siebzehn Uhr daheim und sprachen mit ihren Ehefrauen über ihren Tag, duschten oder zogen sich um. In einer halben Stunde, wenn der Cocktail-Verkehr einsetzte, würde die Straße wieder zum Leben erwachen. Doch momentan lag über diesem exklusiven Abschnitt der »Rich Road«, wie man sie unter den Geschäftsleuten von Kingston nannte, lediglich die erwartungsvolle Spannung einer leeren Bühne und das schwere Parfüm des Nachtjasmins.
    Die Richmond Road war die »feinste« Straße auf ganz Jamaika. Es war Jamaikas Park Avenue, sein Kensington Palace Gardens, seine Avenue d’Iéna. Dort lebten nur die »feinsten« Leute in ihren großen altmodischen Villen mit riesigen, viel zu adretten Rasenflächen und den erlesensten Bäumen und Blumen aus dem Botanischen Garten in Hope. Die lange, gerade Straße war kühl und ruhig und lag abseits der heißen, vulgären Betriebsamkeit von Kingston, wo ihre Bewohner ihr Geld verdienten. Und auf der anderen Seite der T-Kreuzung befand sich das King’s House, wo der Gouverneur und Oberbefehlshaber von Jamaika mit seiner Familie lebte. Keine Straße auf Jamaika konnte ein vornehmeres Ende haben.
    An der östlichen Ecke der oberen Kreuzung stand Richmond Road Nummer 1, ein beeindruckendes zweigeschossiges Gebäude mit breiten, weiß gestrichenen Veranden um beide Stockwerke. Von der Straße aus führte ein Kiesweg vorbei an einer weiten Rasenfläche mit Tennisplatz, auf der wie an jedem Abend der Rasensprenger seine Arbeit verrichtete, zu seinem von Säulen getragenen Eingang. Diese Villa war das soziale Mekka von Kingston. Es handelte sich um den Queen’s Club, der sich seit fünfzig Jahren mit seiner Macht und seinem strengen Aufnahmeverfahren brüstete.
    Solch feudale Rückzugsorte würden im modernen Jamaika nicht mehr lange überleben. Eines Tages würde man die Fenster des Queen’s Club einwerfen und vielleicht alles niederbrennen, aber für den Augenblick war es für eine subtropische Insel ein nützlicher Ort – gut geführt, mit kompetentem Personal und einer der besten Küchen sowie einem der exquisitesten Weinkeller in der Karibik.
    Zu dieser Tageszeit sah man an der Straße vor dem Club an den meisten Abenden im Jahr die gleichen vier Wagen stehen. Sie gehörten den Mitgliedern des Bridgeclubs, der sich pünktlich um siebzehn Uhr traf und bis etwa Mitternacht spielte. Fast konnte man seine Uhr nach diesen Wagen stellen. Sie gehörten – in der Reihenfolge, in der sie nun am Bordstein standen – dem Brigadier der karibischen Verteidigungsstreitmacht, Kingstons führendem Strafrechtler und dem Mathematikprofessor der Universität von Kingston. Am Ende der Reihe stand der schwarze Sunbeam Alpine von Commander John Strangways, dem regionalen Kontrolloffizier der Karibik – oder, weniger diskret, dem örtlichen Vertreter des britischen Geheimdienstes.
    Etwa um Viertel nach sechs wurde die Stille der Richmond Road auf sanfte Weise gebrochen. Drei blinde Bettler bogen um die Kreuzung und bewegten sich über den Bürgersteig langsam auf die vier Wagen zu. Es waren Chineger – chinesische Neger – breite Männer, die sich aber gebeugt hielten, während sie vorwärts schlurften und dabei den Bordstein mit ihren weißen Stöcken abtasteten. Sie gingen im Gänsemarsch. Der erste, der eine blau getönte Brille trug und wahrscheinlich im Gegensatz zu den anderen noch ein wenig sehen konnte, hielt in seiner linken Hand neben dem Griff seines Stocks auch noch eine Blechbüchse. Auf seiner Schulter lag die rechte Hand des zweiten Manns, und die rechte Hand des dritten wiederum ruhte auf der Schulter des zweiten. Die Augen des zweiten und dritten Mannes waren geschlossen. Alle drei waren in Lumpen gekleidet und trugen Strohhüte mit breiten Krempen. Sie sprachen nicht miteinander, und abgesehen von dem leisen Klicken ihrer Stöcke auf dem Boden, während sie langsam über den schattigen Bürgersteig auf die Autos zuschlurften, gaben sie keinerlei Geräusch von sich.
    Die drei Männer wären normalerweise nicht
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