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Shoal 01 - Lichtkrieg

Shoal 01 - Lichtkrieg

Titel: Shoal 01 - Lichtkrieg
Autoren: Gary Gibson
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Kapitel Eins

    Konsortium-Standardzeit: 03.06.2538
    25 Kilometer südlich von Port Gabriel Kolonie Redstone
    Port-Gabriel-Zwischenfall +45 Minuten
    Es war, als wache man auf und stelle fest, dass man soeben durch die Pforte zur Hölle geschlafwandelt war.
    Dakota sog scharf den Atem ein und fühlte sich, als habe ihre Existenz gerade erst begonnen. Ein paar Sekunden lang stand sie stocksteif da, während der Eisregen schmerzhaft auf ihre Haut prasselte.
    Sie versuchte, die Situation zu begreifen.
    Rings um sie herum lagen Leichen unter einem schiefergrauen Himmel, von dem immer wieder kurze, heftige Schneeschauer herabwirbelten. Die meisten Menschen waren niedergemäht worden, als sie davongerannt waren, um sich in Sicherheit zu bringen. Es war das Bild eines grauenhaften Gemetzels.
    Mit erschreckender Deutlichkeit erinnerte sie sich daran, was sie empfunden hatte, als sie all diese Leute getötet hatte.
    Ihre Hände baumelten schlaff an ihrer Seite herunter; in einer Faust hielt sie noch die aus dem Arsenal des Konsortiums stammende Sturmpistole. Hoch über ihrem Kopf dröhnten unförmige Konsortium-Transporter, die aus dem Orbit herabstießen, um nachzuforschen, ob es nach diesem Desaster noch etwas gäbe, das sich zu bergen lohnte.
    Das Schlimmste an der ganzen Sache war, dass sie sich an so vieles erinnern konnte – an jeden einzelnen Moment, an jeden Schrei, an jeden Toten. Damit würde sie bis ans Ende ihrer Tage leben müssen. Deshalb fiel ihr der Entschluss so leicht, sich selbst umzubringen.
    Dakota entfernte sich von dem Transporter und den toten Flüchtlingen der Freistaatler-Gemeinschaft, die er befördert hatte; während sie am Rand des Highways entlangmarschierte, sah sie die Leichen in dem mit Schnee gefüllten Graben, der parallel zur Trasse verlief.
    Ein Frauenleichnam steckte im Dickicht der robusten Wurzeln und Blätter eines Kannenstrauchs. Dakota zerrte sie heraus, ohne auf die scharfen Dornen zu achten, die ihre Haut und den Überlebensanzug zerkratzten. Sie legte die Tote an den Straßenrand und betrachtete ihr Gesicht. Mittleres Alter, ein mütterlich wirkender Typ, das schwarze Haar von ein paar grauen Strähnen durchzogen.
    Dakota drückte ihr die starren Augen zu und kniete ungefähr eine Minute lang vor dem Leichnam.
    Schließlich stand sie auf und spähte in die Runde; sie lauschte den rasselnden Geräuschen, die entstanden, wenn die eiskalte Luft durch die Filtersysteme ihrer Atemmaske strömte, und sie spürte, wie sich aus ihren Lungen ein Schrei entlud, der gar nicht mehr enden wollte.
    Nach einer Weile begann ihre Brust von der Anstrengung des Schreiens zu schmerzen, und sie verstummte.
    Sie setzte ihren Weg fort, während sie im Gehen ihren Überlebensanzug nach und nach abstreifte. Den Anzug warf sie in den Straßengraben, danach entledigte sie sich der restlichen Bekleidung, die sie gegen die klirrende Kälte schützte, bis sie splitternackt unter dem Morgenhimmel von Redstone stand.
    In der eisigen Luft wurde ihr Körper sofort taub; doch die Atemmaske behielt sie an, weil ihr ein schneller Tod durch Ersticken in dieser fremden Atmosphäre viel zu gnädig vorgekommen wäre. Vereinzelte Schneeflocken tanzten über das weiche, blasse Fleisch ihrer bloßen Schultern und sammelten sich auf ihren kurz geschorenen Haaren.
    Dakota schaffte es, noch ein paar Schritte weiterzustolpern; ihr Blick verschwamm, als sie auf die Lastwagen, Busse und Ferntransporter starrte, die die Flüchtlinge in Sicherheit gebracht hatten. Einige der Fahrzeuge brannten, und ölige Rauchsäulen beschmutzten den Himmel von Redstone.
    Sie brach neben der Statue von Belle Trevois zusammen, der uchidanischen kindlichen Märtyrerin, die, am Saum der Straße stehend, ewige Wache hielt, die Arme hoch in die Luft gereckt in einer Geste, die an einem derart einsamen und trostlosen Ort umso verzweifelter wirkte. Der Sockel war über und über mit hässlichen Freiweltler-Graffiti beschmiert.
    Dakota spürte, dass sie nun selbst dem Tode nahe war, und setzte sich zu Füßen der Statue in die Hocke. Aus dieser Perspektive blickte sie zu deren ausdruckslosem Gesicht hinauf.
    In ihrem Kopf hörte sie immer noch, wie Menschen um ihr Leben liefen, in ihren Gedanken hallten die Schreie der Flüchtlinge nach, die bei lebendigem Leib verbrannten.
    Dann vernahm sie andere Stimmen – Soldaten, die sich mit Zurufen verständigten und rasch näher kamen.
    Um sie zu retten.

Kapitel Zwei
    Erkinning City, Kolonie
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