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Deus X

Deus X

Titel: Deus X
Autoren: Norman Spinrad
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verlangt, daß
in manifester Ermangelung direkten göttlichen Eingreifens irgend jemand unfehlbar sein muß, um gerade solche
tiefgreifenden spirituellen Dispute lösbar zu machen, also warum
nicht der Papst? Ehemals unfehlbare päpstliche Entscheidungen
sind stets unfehlbar geändert worden, wenn Gott entschied,
daß es für die Entwicklung seiner Kirche erforderlich
war.
    Aber dort oben in den Bergen begann mir die Bedeutung all dessen
wie mein Leben zu entgleiten und schliff sich zu einer letzten
Epiphanie ab. Tag für Tag wagte ich mich in das tödliche
weiße Licht hinaus, und jeden Tag schien ich einer ungreifbaren
göttlichen Gnade näher zu sein. Ich war bereit, meinem
Schöpfer gegenüberzutreten, ja mittlerweile sogar begierig
darauf, mich hinwegfegen zu lassen, wenn er mir endlich sein Antlitz
offenbarte.
    Doch wie sich herausstellte, hatte Gott mir noch eine letzte
Mission zugedacht.
    In der Dämmerung eines klaren Abends, als die Sonne hinter
der Felsenspitze verschwand und ich zum Chalet zurückkehrte,
hallte ein fernes Donnern durch die alpine Stille, ein
merkwürdiges, stakkatoartiges, aber beständiges Donnern,
das sich rasch in das Brummen einer monströsen Libelle
verwandelte und immer lauter, immer mechanischer wurde, bis auf
einmal eine dämonische Erscheinung über die ferne Kammlinie
heraufkam.
    Zuerst begriff ich überhaupt nicht, was es war. Es sah wie
ein riesiges, zorniges Insekt aus, dessen durchsichtige Flügel
mit überirdischer Schnelligkeit schlugen und das durch die Luft
auf mich zukam.
    Dann erkannte ich, daß es aus Kunststoff und Metall bestand;
das überirdische Knattern rührte von einem
Verbrennungsmotor her, und als es zu meinem Erstaunen und Entsetzen
vor dem Chalet aufgesetzt hatte, wobei es Benzindämpfe
verströmte und Kohlendioxid ausstieß, wußte ich nur
allzugut, was es war.
    In meiner Kindheit waren Hubschrauber gar nicht so
ungewöhnlich gewesen, und am Amazonas hatte ich diese
technischen Aaskäfer im Friedhof des Regenwaldes herumsummen
sehen. Sie waren die magischen Zeichen der Macht und des Privilegs,
die Insignien hochrangiger Militärs, politischer Potentaten und
Konzernkapitäne, und als solche gefürchtet und gehaßt
von jenen, die sie überwachten.
    Jetzt sind sie natürlich wie alle von Verbrennungsmotoren
angetriebenen Maschinen in den meisten Hoheitsbereichen der Welt
verboten, oder jedenfalls ist die Erlaubnis, sie zu besitzen oder zu
fliegen, auf wahre Fürsten dieser korrupten Welt
beschränkt.
    Oder – Gott sei uns gnädig – auf Fürsten der
Kirche, wie es schien! Denn ein solcher stieg nun aus der Kabine,
einen riesigen, breitkrempigen Sonnenhelm über der roten Kappe,
die Augen hinter undurchdringlichem Spiegelglas verborgen, aber mit
diesem Bart und diesem Gebaren, ganz zu schweigen von dem untypischen
roten Umhang, den er sich eigens zu diesem Anlaß umgelegt zu
haben schien, unverkennbar Kardinal John Silver, ekklesiastischen
Gerüchten zufolge der Schmied jener Koalition, die Maria I. zur
Päpstin gemacht hatte.
    Ich war Kardinal Silver bereits mehrmals begegnet, hatte aber noch
nie ein richtiges Gespräch mit ihm geführt, so daß
ich ihn hauptsächlich von seinem Ruf her kannte, und das reichte
mir schon vollkommen.
    Wie die Päpstin war er Amerikaner, was ich im Gegensatz zu
vielen anderen keinem der beiden jemals angelastet habe. Es ist in
der restlichen Welt sehr beliebt – und noch bequemer –, die
Schuld am unmittelbar bevorstehenden Tod der Biosphäre den
Amerikanern zu geben, die über ein Jahrhundert lang das meiste
Benzin verbraucht und die größten Menge Kohlendioxid in
die Luft gepustet haben. Aber es ist allzu selbstgerecht, die Schuld
an der ungeheuren Sünde unserer Spezies auf die Bürger des
Staates abzuwälzen, dem der Zufall der säkularen Geschichte
das Henkersbeil in die Hand gegeben hat. Vergib ihnen, o Herr, denn
sie wußten nicht, was sie taten.
    Kardinal Silver war überdies ein politischer Priester, eine
Gattung, der ich nie übermäßig viel Zuneigung
entgegengebracht habe, eine Art Richelieu auf dem Feld der
Ökonomie und der Öffentlichkeitsarbeit, der der
Päpstin den Kontostand und die Ergebnisse der Meinungsumfragen
ins Ohr flüsterte.
    Die Kirche braucht solche Prälaten, wenn sie in der Welt
bestehen will, nach ihrer gegenwärtigen traurigen Lage zu
urteilen, eher mehr als wenige, und ich würde nicht einmal so
weit gehen, sie als notwendiges Übel zu betrachten. Sie dienen
ebenfalls, und die Mehrzahl von
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