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Der Deal

Der Deal

Titel: Der Deal
Autoren: John T. Lescroart
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Kapitel 1

    Von seinem Platz direkt am Gang konnte Dismas Hardy deutlich erkennen, wie die Stewardeß vom Boden abhob. Sie ließ sofort das Tablett fallen, auf dem seine Cola stand, doch merkwürdigerweise knallte es nicht herunter, sondern hing schwebend in der Luft, und die Cola floß aus dem Glas und breitete sich in der Luft aus wie ein Fleck im Löschpapier.
    Der Mann neben Hardy berührte dessen Ellbogen und sagte: »Wir sind tot.«
    Hardy spürte die Hand des Mannes auf seinem Arm wie aus weiter Ferne. Es fiel ihm schwer, seine Augen von der schwebenden Stewardeß abzuwenden. So plötzlich, wie sie emporgeschnellt war, prallte sie mit dem Tablett und der Cola wieder auf den Kabinenboden.
    Zwei oder drei Passagiere schrien.
    Hardy war der erste, der seinen Sicherheitsgurt öffnete. Einen Augenblick später kniete er über der Stewardeß, die zwar unverletzt zu sein schien, aber unter Schock stand und weinte. Sie hielt ihn fest, ihre Muskeln zuckten vor Angst oder vor Erleichterung, und ihr Schluchzen wurde immer wieder von kurzen Pausen des Atemholens unterbrochen.
    Zum ersten Mal seit viereinhalb Jahren spürte Hardy die Arme einer Frau um sich. Und damals, das war nur das eine Mal mit Frannie Cochran, geborene McGuire, nach einer Silvesterparty gewesen.
    Der Pilot erklärte gerade, daß sie tausend Meter an Höhe verloren hätten, und erzählte irgend etwas über Windböen und Rückströmungen bei Jumbojets. Hardy löste sich sanft von der Stewardeß. »Sie sind okay«, sagte er ruhig. »Wir alle sind okay.« Er blickte sich im Flugzeug um, sah die aschfahlen Gesichter, das verzerrte Lächeln, die Tränen. Er nahm an, daß seine Reaktion erst nachher einsetzen würde.
    Fünfzehn Minuten später dockten sie am Gate auf dem Flughafen von San Francisco an. Hardy erledigte wortlos die Zollformalitäten und ging dann in die Tiki-Bar, wo er ein Glas Black and Tan bestellte, das in der alten irischen Heimat im Idealfall eine Mischung aus Guinness Stout und Bass Ale war. Die Mischung in der Tiki-Bar war nicht die ideale.
    Als er das erste Glas halb geleert hatte, fühlte er, wie seine Beine nachgaben, und grinste sich im Spiegel der Bar an. Dann fingen seine Hände an zu zittern, und er legte sie in den Schoß und wartete, bis es vorüber war. In Ordnung, nun war er in Sicherheit. Nun hatte er wieder festen Boden unter den Füßen und konnte darüber nachdenken.
    In gewisser Hinsicht war es schade, dachte er, daß die Maschine nicht abgestürzt war. Das hätte wenigstens eine Art Regelmäßigkeit ergeben – seine Eltern waren beide bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, als er neunzehn und im zweiten Jahr Student am Californian Institute of Technology gewesen war.
    Ein Absturz wäre auch zeitlich genau richtig gekommen. Da weder Baja noch die zwei Wochen im Suff ihm geholfen hatten, sein Leben auf die Reihe zu bringen, gab es vielleicht einfach keine Lösung. Wenn das Flugzeug abgestürzt wäre, hätte er sich darüber wenigstens keine Sorgen mehr machen müssen.
    Er hatte die Tage unter Wasser verbracht, bei den Riffs, wo die Cortezsee mit dem Pazifik zusammentrifft. Er hatte sich am Panzer einer Riesenschildkröte festgehalten und sich etwa zweihundert Meter von ihr ziehen lassen. Er hatte sich in eine Schule, eine Stadt, eine Landschaft springender Delphine gestürzt, obwohl sein Führer ihn gewarnt hatte, daß sie ihn töten würden. Nun, wenn er schon abtreten sollte, hätte er sich keine bessere Todesart vorstellen können.
    Abends hatte er hoch über dem Meer im Finis Terra gesessen und Zitronensprudel getrunken. Er war mit Absicht allein nach Baja gekommen, obgleich sowohl Pico als auch Moses angeboten hatten, ihn zu begleiten. Aber wenn sie bei ihm gewesen wären, wäre er derselbe Hardy gewesen, der er auch in San Francisco war – mit einem schnellen, zynischen Mundwerk und einem Ellbogen, der geradezu für das Trinken geschaffen war. Er hatte diesem Hardy für eine Weile entkommen wollen und war einfach losgeflogen. Es war nicht sehr gut gelaufen, dachte er. Deshalb hatte er auch den Urlaub gebraucht.
    Das Problem war nur, daß im Urlaub auch nichts allzu gut zu laufen schien. Er hatte einfach das Gefühl, daß er nicht mehr wußte, wer er eigentlich war. Er wußte, was er konnte – er war ein verdammt guter Barmixer, ein guter Dartwerfer und ein mittelmäßiger Holzschnitzer.
    Er war außerdem geschieden, hatte der Marine angehört, war Polizist gewesen und Anwalt. Eine Zeitlang war er sogar
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