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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
Autoren: Akif Pirincci
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    E ine Bar um sechs Uhr dreißig war nicht gerade ein Ort, von dem man sich einen munteren Start in den beginnenden Tag versprach. Eine Bar um sechs Uhr dreißig war auch nicht unbedingt ein Ort, der das Ende einer gelungenen Nacht bedeutete. Eine Bar um diese Stunde, an einem Montag, im März, wo draußen eine noch ungenießbarere Kälte als im Dezember herrschte und der Himmel tagsüber wie endloses graues Löschpapier über der Stadt lag, war genau das, was dem Klischee entsprach: ein Grab für Verlierer.
    Der Rauch ungezählter Zigaretten, der dem großen Raum in den letzten Stunden etwas von der Atmosphäre eines türkischen Bades verliehen hatte, hing in abgeschwächter Dosis immer noch in der Luft wie eine dräuende Wolke. Die Tische, verwaist und mit feuchten Kränzen der ausgetrunkenen Gläser übersät, waren zu Dämmerlichtinseln der Trostlosigkeit verkommen. Durch die Leere schwebte die rauchige Stimme einer Soulsängerin, getragen von spärlichem Klaviergeklimper. Geradezu strahlend sah dagegen die Bartheke aus, die der ebenfalls makellos wirkende Barkeeper mit einem Serviertuch polierte. Er war ein kräftiger Kerl in gut sitzender schwarzer Samtweste und mit einer feuerwehrroten Fliege um den Hals. Ein Walroßschnäuzer schmückte das ungeschlachte Gesicht, während die hinten mit einem Gummiband zusammengezurrten langen Haare seine kultivierte Seite betonten. Kurz, er kam mit allen Gästen klar - vorausgesetzt sie brachten dieselbe Nonchalance in sein Etablissement wie die Soulsängerin aus den Lautsprechern.
    Die in Kreisbewegungen über die dunkelbraune Thekenplatte wischende Hand streifte an frisch gefüllten Schalen mit Erdnüssen vorbei, an Lederdöschen mit Zahnstochern, Kärtchen, die für preisgünstige Cocktails warben, und blitzsauber gescheuerten Aschenbechern. Zuletzt fuchtelte sie im Umkreis der Finger des letzten Gastes, die ein leeres Wodkaglas so fest umklammerten, als testeten sie seine Bruchtoleranz.
    »Wir schließen gleich«, sagte der Barkeeper in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Wollen Sie noch einen letzten Drink?«
    »Wodka«, verlangte der Mann auf dem Hocker zum siebzehnten oder achtzehnten Mal, seit er den Laden am Abend zuvor betreten hatte. Während der Keeper sich am rückwärtigen Regal mit der beeindruckenden Schnapsauslage zu schaffen machte, richtete der Mann den Blick auf den schräg aufgestellten Laufspiegel an der Decke.
    Alfred Seichtem oder schlicht Ali, wie er sich gerne nennen ließ, sah erwartungsgemäß verdammt gut aus. Trotz des vielen Alkohols und der Umstände, die ebendiesen exzessiven Alkoholkonsum jede Nacht aufs neue zu rechtfertigen schienen, war Seichtem immer noch ein attraktiver Mann. Die pechschwarzen nackenlangen Haare sahen stets wie mit Gel behandelt aus und wirkten selbst im zerzausten Z ustand, als habe sie ein Promi- Hairstylist titelfotogerecht modelliert. Die Lider über den kobaltblauen Augen waren stets leicht gesenkt, was einen etwas verschlafenen und doch coolen Eindruck erweckte. Die höckrige Adlernase - das Resultat eines Nasenbeinbruchs bei einer Schlägerei unter Teenagern - verlieh dem Gesicht etwas Charaktervolles und wäre eines Cäsar würdig gewesen. Und die wenigen Krähenfüße um die Augen sowie die Linien um die Mundwinkel verliehen dem wie gegerbt wirke nden Gesicht jenen Reifer-Mann- Schliff, der in Werbespots für Traumautos so gefragt war.
    Darüber wunderte sich Seichtem. Darüber, daß man sich so tief im Keller fühlen und trotzdem so blendend aussehen konnte. Denn im Kontrast zu seinem gewinnenden Aussehen hatte er alles verloren, was er je geliebt, besessen oder sich irgendwie eingebildet hatte, verdient zu haben.
    Selbst nach einer solch trostlosen Nacht hätte das nur theoretisch Selbstmordgedanken Nahrung gegeben, wären da nicht ein paar unerfreuliche Fakten gewesen. Seichtem war inzwischen zweiundvierzig Jahre alt, und exakt seit seinem vierzigsten Geburtstag schien ihn ein böser Dämon jedesmal, bevor er aufwachte, wissen zu lassen, daß der beginnende Tag - es handelte sich immer um fast Mittag - wieder sinnlos verstreichen würde, und daß jede Anstrengung, noch einmal von vorn zu beginnen, ebenfalls eine Illusion wäre. Zum zweiten litt er unter solch starken Depressionen, daß ihm jeder Ingmar- Bergman-Film vergleichsweise wie eine zum Brüllen komische Komödie vorkam. Und zuletzt bereitete es ihm erhebliches Kopfzerbrechen, daß sein gesamtes Vermögen inzwischen in seinem
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