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Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Titel: Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid
Autoren: Martin Clauß
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hinüber, auf der vierten ist so gut wie nichts drauf. Wir brechen das Ganze ab, machen einen Neuanfang. Aber nicht hier. Irgendwo.“
    „Das hast du nicht zu entscheiden“, sagte Simon bestimmt.
    „Ich gehe jedenfalls“, stellte Lilli fest. „ Das kann ich selbst entscheiden.“
    „Ich auch“, sagte Steffen, und Pö nickte zustimmend.
    Doch damit war das Haus nicht einverstanden.

13
    Die Kulisse bröckelte – und das im wahrsten Sinne des Wortes!
    Das Haus alterte.
    Die schönen goldenen Tapeten lösten sich von den Wänden, zerrissen und regneten in zerknitterten Fetzen herab. Die Möbelstücke verformten sich, sackten in sich zusammen, splitterten, zerbrachen. Die Vorhänge fielen zuerst zu Boden und verblassten dann. Graue Spinnweben liefen über die Decke, dehnten sich weiter und weiter, streckten sich, breiteten sich aus, sammelten sich in den Ecken zu gewaltigen wehenden Vorhängen. Staub legte sich wie ein zweiter Teppich über den Boden, selbst über die Wände, und alle Farben im Raum wurden stumpf. Tierkot fiel aus dem Nichts herab, dazu Federn und Fellbüschel. Auf dem Tisch bildete sich das Skelett eines Vogels, und auf der Treppe lag der halbverweste Kadaver einer schwarzweiß gefleckten Katze.
    Die Türen zu den Nebenräumen, die bisher verschlossen gewesen waren, öffneten sich einen Spalt weit. Nur die Eingangstür öffnete sich nicht. Dafür kam ein knarrendes Geräusch aus ihrer Richtung. Eine Art Rost fraß sich an ihren Rändern ins Holz und schien sie mit dem Rahmen zu verbinden.
    Lilli lief hin und rüttelte an der Klinke. Dann warf sie sich dagegen. Die Tür rührte sich nicht. Als sie kreidebleich herumwirbelte, um die Männer um Hilfe zu bitten, sah sie in das Objektiv der Kamera. Simon hatte den Filmapparat blitzschnell zur Hand genommen.
    „Wir müssen hier raus!“, krächzte sie.
    Simon filmte weiter. Auf seinem Gesicht lag das faszinierte Grinsen, das er immer hatte, wenn er drehte, eine Mischung aus Konzentration und Befriedigung.
    „Lilli hat recht.“ Pö kam von hinten auf ihn zu und legte ihm vorsichtig die Hand auf die Schulter. Simon schüttelte sie ab, und Pö verlor die Beherrschung: „Herrgott, siehst du nicht, was hier passiert?“
    „Mich interessiert, was meine Kamera sieht“, erwiderte Simon schnell.
    „Mann, was ist los mit dir?“
    „Er denkt, wir spielen ihm etwas vor“, sagte Lilli atemlos. „Er traut seinen Augen nicht. Nur seiner Kamera vertraut er.“
    „Ja, aber … dieses Haus … Es …“ Pö gingen die Worte aus.
    Simon drehte sich, filmte das Innere des Gebäudes. Vielleicht war er tatsächlich überzeugt, das alles würde verschwinden, wenn er es später im Film sah. Noch immer veränderten sich überall Details. Alles, was neu und sauber gewesen war, wurde durch Altes, Schmutziges ersetzt. Eine besondere Veränderung ging mit den Gemälden an den Wänden vor. Sie wurden dunkler, als lege sich ein Schleier über jedes einzelne, und an die Stelle der verschiedenen Personen trat das Bild eines einzigen Mannes. Schwarze, halblange, struppige Haare, ein kleiner spitzer Kinnbart, eine vor Hass verzerrte Grimasse … Überall war sein Gesicht zu sehen.
    Simon machte eine Runde durch den Raum, und der Lüster, der nun mit Spinnweben verhangen war, schwankte gefährlich, als er darunter hindurchging. Er stieg die rechte Treppe hinauf, langsam, ohne die Kamera abzusetzen.
    „Wir können ihn da oben nicht allein lassen“, schrie Steffen. Er folgte Simon als erster, und auch die anderen rannten schließlich die Stufen empor in den ersten Stock. Oben war Simon gerade dabei, das Stativ aufzubauen. Er hatte das leichte, zusammenklappbare Ding bei sich in der Tasche getragen, entfaltete es nun und steckte die Kamera darauf, so, dass sie den linken Flur aufnahm.
    Der Korridor schien ein Tunnel in die Hölle zu sein.
    Durch das Zwielicht huschten leuchtende Schatten. Draußen war die Dämmerung längst fortgeschritten, und ihre Lampen hatten sie unten vergessen. Was diesen langen, fensterlosen Flur erhellte, war das Licht, das diese leuchtenden Schemen abgaben! Von goldgelber Farbe waren sie, schillernd und rau wie die zerkratzte Oberfläche vergoldeter Schmuckgegenstände. Es mussten Dutzende sein, doch sie waren alle identisch. Sie zeigten das zweidimensionale Abbild des Mannes in Jagdkleidung. Denselben Mann, der unten auf den Gemälden zu sehen war.
    Pö war der Erste, der den Gang durch den Flur wagte. Wahrscheinlich hatte er eingesehen, dass das
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