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Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Titel: Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid
Autoren: Martin Clauß
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sich Simon schulterzuckend. Er war nicht aufgebracht, wirkte eher gelassen, beinahe wie ein Vater, der seinen spielenden Kindern beim Ausflippen zusieht.
    „Ich schon“, behauptete Pö etwas eingeschnappt. „Möchtest du eigentlich nicht filmen, Meister? Die Leute schnappen gerade reihenweise über, und du hältst das nicht fest?“
    „Ich filme, was ich inszeniert habe“, entgegnete Simon. Er tippte sich gegen die Stirn. „Ich habe einen Plan im Kopf. Mosaiksteinchen, Teile eines großen Ganzen. Alles, was damit nichts zu tun hat, treibt mein Projekt nicht vorwärts und interessiert mich ni…“
    Plötzlich schrie Lilli auf. Die beiden Männer sahen zuerst sie an, dann folgten ihre Blicke ihrem ausgestreckten Zeigefinger. Dieser wies auf Steffen. Steffen hatte eben ejakuliert. Er hatte einen Höhepunkt gehabt, ohne sich zu berühren! Sein Samen war über den Tisch verspritzt, seine Bewegungen wurden langsamer, sein Blick stumpf. Er senkte den Kopf, und nach einigen Augenblicken drehte er ihnen das erhitzte Gesicht zu. Sein Atem ging stoßweise.
    „Wie hast du das gemacht, Junge?“, wollte Pö wissen. „Damit kannst du in den Zirkus gehen, weißt du das …?“
    Lilli hatte sich abgewandt. Ihre Züge waren finster geworden. „Irgendetwas stimmt hier nicht“, flüsterte sie. „Die Leute verlieren den Verstand.“
    „Das … sagt … gerade die … Richtige“, keuchte Steffen.

12
    Eine Viertelstunde später saßen Simon, Steffen und Lilli am Tisch und wärmten sich. Seit Steffen sich wieder angezogen hatte, hatte Lilli sich etwas beruhigt, doch das Bild der trauten Gemeinsamkeit täuschte. Tiefes Schweigen herrschte, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, ein Gespräch kam nicht zustande. Pö war nach oben gegangen, um alleine zu sein, und die anderen sahen einander nicht an.
    Steffen fühlte sich gespalten. Was er getan hatte, war ihm etwas peinlich, andererseits bereute er es nicht. Es war eine Art Trotzreaktion gewesen, zum einen gegen Lilli, die ihn mit ihrem Auftritt zu Tode erschreckt hatte, aber auch gegen Simon, der ihn ausnützte und ihm keine Freiheit ließ. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr schien es ihm, als hätte sich die Trotzreaktion am allermeisten gegen das Haus gerichtet. Das Haus, das nicht so war, wie es hätte sein müssen.
    Es war faszinierend, wie vor seinem geistigen Auge alles aufgetaucht war, was er gebraucht hatte. Der Geschmack des Entenschlegels lag noch immer auf seiner Zunge, und das Mädchen hatte er nicht nur gesehen, sondern auch … gespürt.
    Keine Frage: Dieser Ort war etwas Besonderes. Vielleicht war er kein Spukschloss, in dem ein altertümlich gekleidetes Gespenst umging, den abgehackten Kopf unter dem Arm – aber dieses Haus hatte etwas Inspirierendes, etwas Künstlerisches. Sich hier aufzuhalten, war aufregend, und Steffen wusste, dass er auf gewisse Weise schon jetzt süchtig nach diesem Ort war. Gleichzeitig fürchtete er ihn, denn außerhalb der Wärme des Kaminfeuers verdichtete sich die kalte Dunkelheit immer mehr …
    Seit einer Minute vernahm er ein knisterndes Geräusch irgendwo hinter ihnen und wagte nicht, sich danach umzuwenden. Es kam nicht näher, blieb stets zwei, drei Meter hinter ihnen.
    Irgendwann fiel es auch Simon auf, und er sah über die Schulter nach hinten.
    Im nächsten Moment sprang er hoch und stieß ein röchelndes Japsen aus. Etwa auf der Mitte des Tisches lag noch immer der Rucksack, den Pö dort abgelegt hatte. Steffen konnte sich daran erinnern, dass er auch während des Banketts dort gewesen war. Die Leute hatten ihr Gelage um ihn herum abgehalten.
    Aus dem Rucksack, in dem sich die bisher gedrehten Filme und einige Batterien befanden, stieg ein Rauchfaden auf. Wo der Ursprung des Knisterns lag, war nun klar. Im Inneren der Tasche brannte etwas!
    Simon stürzte zu dem Rucksack hin, riss den Reißverschluss auf und schüttete den Inhalt auf den Teppichboden. Er quetschte einen Fluch zwischen den Lippen hervor, den Steffen noch nie gehört hatte. Auch er und Lilli waren aufgesprungen. Simon versuchte die Filme zu retten, die in schwarzen Kassetten steckten. Er griff zwar danach, ließ sie jedoch sofort wieder mit einem dumpfen Schmerzensschrei fallen. Hatten sie bisher nur gekokelt und waren zusammengeschnurrt, gingen sie jetzt vor seinen Augen in Flammen auf. Es musste der Sauerstoff sein, der den Prozess so drastisch beschleunigte. Der schmelzende Kunststoff und das brennende Zelluloid verströmten einen
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