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Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Titel: Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid
Autoren: Martin Clauß
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Gesichtswunde kam. Ob er stolperte, weil er am Fuß verletzt war, weil sein Gehirn geschädigt war oder weil ihm mit dem Blut die Lebenskraft aus dem Körper floss. Er wollte überhaupt nichts wissen. Nicht einmal, ob es sich wirklich um Pö handelte.
    Lilli schrie nicht. Niemand schrie. Lilli kauerte ein Stück neben der Treppe auf dem Teppich, starrte zwanghaft zur Seite und kämpfte mit ihrem Mageninhalt.
    Der Einzige, der noch hinsah, war Simon. Der Anblick hatte ihn von einer Sekunde zur anderen ruhig werden lassen. Sein Zorn war vergessen. Der Schürhaken fiel aus seiner Hand, rutschte die zwei Stufen hinunter. Steffen griff ganz automatisch danach.
    „Pö“, sagte Simon, und seine Stimme war weder aufgeregt, noch entsetzt, noch wütend. Sie war einfach leer, vollkommen leer.
    Pö blubberte etwas – von Sprechen konnte man nicht mehr reden. In der Höhe seines Mundes, am unteren Ende der Wunde, blähten sich riesige rote Blasen auf und zerplatzten wieder, wenn er etwas sagte. Er war kaum zu verstehen. Seine Zähne waren in Ordnung, aber seine Lippen, seine Zunge … „Goa owän“, spritzte er, „goa owään uitsch uasch …“
    „Da … oben ist was?“, wiederholte Simon leise. „Was denn?“
    Der blutüberströmte Leib schwankte am oberen Treppenabsatz. Ein Fuß ruckte hervor, als wolle er den Abstieg wagen.
    „Nicht“, sagte Simon. Er sprach nicht laut, sondern flüsterte wie bei einer Beschwörung. „Komm nicht herunter, Pö. Das geht nicht gut.“
    Es waren furchtbare Sekunden. Steffen hatte das Gefühl, dass er bereits um Pö trauerte, obwohl er noch lebend da oben stand. Er sah sich schon an seinem Grab stehen, zusammen mit seinen Eltern und Verwandten – vielleicht war das eine Strategie seiner Psyche, um das Grauen zu überspielen.
    Doch Pö tat etwas Unglaubliches. Er sprang plötzlich herab, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, und während er das tat, riss er sich etwas vom Gesicht und bewarf Simon damit. „Ich komme doch runter“, rief er. „Warum läuft die Kamera nicht, du alter Spielverderber? Du wolltest doch einen Horrorfilm. Das hast du immer behauptet. Was ist, hast du deine Meinung geändert?“
    Steffen benutzte den Schürhaken, um sich aufzurichten. Seine Rippen schmerzten noch immer.
    „Du bist verrückt“, brachte Simon hervor.
    „Das habe ich heute schon öfters gehört. Schätze, wir sind alle ein wenig umnachtet, was? Von der Rolle, sozusagen.“ Lachend sah er an sich herab. „Eine Art Filmblut – keine Ahnung, aus was das gemacht ist. Und ein paar Fetzen von einer pappigen Masse, geschickt ins Gesicht geklebt. Ganz einfach, wenn die Präsentation stimmt. Und die Entfernung und die Lichtverhältnisse natürlich. Habt ihr das weiße Zeug bemerkt? Es sollte aussehen, als würden ein paar Knochen durchschimmern …“ Er hielt etwas in die Höhe, was selbst jetzt noch an Knochen erinnerte.
    „Wo hast du das gefunden?“
    „Erstes Zimmer rechts.“
    „Ich war auch in dem Zimmer. Da war nichts.“
    „Du hast es übersehen. Selbst du machst einmal Fehler.“ Pö massierte sich den Nacken. „So, jetzt hatte ich auch meinen Spaß. Der einzige, der seine schauspielerischen Leistungen noch nicht zum Besten gegeben hat, bist du, Simon. Ach, ich hatte vergessen: Du bist ja kein Mime. Du stehst hinter der Kamera.“
    „Simon hat auch gespielt“, warf Steffen plötzlich ein. Gleichzeitig wich er einige Schritte zurück, hängte den Schürhaken wieder neben den Kamin und stellte sich schützend davor. „Simon hat so getan, als würde er dich umbringen wollen, Pö. Und beinahe wären wir darauf hereingefallen. Er hat sehr überzeugend gespielt, ganz perfekt.“
    Simon ballte die Fäuste. „Die Filme“, zischte er. Pö stand direkt vor ihm.
    „Was ist mit den …“ Pö unterbrach sich, als er den ausgeschütteten Rucksack auf dem Boden sah und die Reste der Filmkassetten daneben.
    „Es war alles nur gespielt“, rief Steffen. „Nicht wahr, Simon? Du wolltest ihn nicht töten.“
    „Wie ist das passiert?“, wollte Pö wissen.
    „Du hast die Filme zu nah ans Feuer gelegt.“ Simons Stimme klang lauernd.
    „Ich finde, wir sollten dieses Haus verlassen, sofort!“ Das war Lilli. Ihre klare Stimme ließ sie alle zusammenzucken. „Es tut uns nicht gut. Es ist böse.“
    „Böse?“ Simon lachte humorlos auf. „Ich habe hier einen Film zu drehen. Ich bleibe hier.“
    „Der Film ist im Eimer, verstehst du nicht?“, mischte sich Steffen ein. „Drei Spulen sind
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